fürchten

 

Irgendwann fällt es einem ja auf, wenn man Bücher, die ihren Stammplatz in den Regalen gefunden haben, höchst wahrscheinlich nicht mehr liest bzw. nicht noch einmal liest oder überhaupt noch wissen kann, was drin steht, kommt es einem doch zuweilen auch vor, dass überall in Essenz mehr oder weniger auf des menschlichen Wesens Kern hingewiesen wird. Was als Wissen gilt, was als Weisheit, was Lächeln hervorgebracht hat, dann wieder tiefe Berührung mit den Gedanken eines oder einer Anderen. Und überall da, wo geliebt und gelebt wird, sammeln sich Dinge an, die ihrer jeweiligen Bedeutsamkeit wegen um einen herumstehen. Manmal gelingt es einem, in irgend einer Ecke oder der Tiefe des Schrankes tabula rasa zu machen, selten aber lässt man ein leeres Feld zurück, auf dem die frische Luft eines Neuanfangs zu spüren ist. Auch als ich mich neulich entschlossen einem Karton näherte, in dem präcomputerale Korrespondenzen von mir bewahrt wurden, als wir noch mit der Hand die Gänsefeder…ach nein, sorry…den Montblanc oder den Rapidographen führten, und auf leichtem Luftpapier reichhaltig Kontempliertes ankam nach tagelanger Reise, zuweilen auch mal ein leerer Umschlag, der wegen seines Umfanges vermutlich für eine Geldsendung gehalten wurde. Bevor die Nostalgie über das Verschwinden der Handschrift nach mir ausgreift, erfasse ich sie vorübergehend als etwas, was ich fürchte. Das ist sicherlich nicht viel anders, als wenn man die reife Menge der E-Mails von dazumal nochmal überfliegt und das berüchtigte Wechselbad der Emotionen erlebt. Wenn man nachschaut, wird das Gedächtnis aufgefrischt, man staunt, wie viel man vergessen kann. Wie weit will ich selbst ausufern in die Details meines einstigen Daseins, auch wenn es nicht mangelt an interessanten Geschichten und Begegnungen und Beziehungen, die man durchwandert hat. Andrerseits sitzt man hier und ist all das. Es geht ja vom Erleben nichts verloren. Vielleicht sollte man sich den Inhalten der Dinge, die der potentiellen Verstaubung anheim gefallen sind, einmal intensiv widmen und wahrnehmen, was sie einem bedeuten. Und auch wenn man merkt, dass sie einem sehr viel bedeuten, kann man darüber nachdenken, was man am liebsten mit ihnen machen möchte. Ich habe in meinem Leben das Glück gehabt, zwei Häuser, die angefüllt waren mit Schätzen, hinter mir zu lassen, und musste einmal in der Wüste, wo meine Leidenschaft für Reduktion schon ihre sichtbaren Formen annahm, erstaunt feststellen, dass ich mich kaum an meine kostbaren Anhäufungen erinnern konnte, da mich mein aktuelles Leben in Atem und Aufmerksamkeit hielt. Eben: die Leidenschaft, die Leiden schafft. Immer wieder häuft es sich an, das Herangezogene, das ebenfalls organisierte Räume braucht, um seine Wirkung zu entfalten. Gut, wenn man herumschauen kann und lächeln, wenn einen die Ordnungen anschauen, die einem zusagen, das ist durchaus angenehm Da, irgendwo in den Zwischenräumen der Gedanken, liegt ein Fürchten herum. Vielleicht vor dem Scheitern des großen Loslösungsplanes, der Antianhänglichkeitskarotte, dem wilden Traum der Entdinglichung, die Blöße letzter  Nacktheit des Sichdurchsichtiggemachthabens. Umringt wie stets von der Materie des Dazugehörigen. Fürchte dich nicht, sagte sie zu sich, denn du bist bei dir.

 


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