Ayesha

Auf dem Photo, das ist Ayesha, die junge Frau, die ich gerne hier in der Gegend meine Tochter nenne, obwohl jeder weiß, das sie es nicht ist und auch nicht sein kann, aber es ist das Winzlingswesen, das ich einmal vor 23 Jahren auf der Straße „zufällig“ mit dem Schuh berührt habe, und zuerst dachte, es sei ein überfahrenes Tier, das jemand zugedeckt hatte, aber siehe da, es war ein Kind. Ich habe diese Geschichte schon einmal in diesem Rahmen erzählt, aber da sie mich gestern besucht hat, teile ich gerne nochmal ein bisschen davon mit, mit so einer tiefen Freude, dass wir die ganzen Jahre ihres Lebens in Kontakt geblieben sind und ich die 6 Monate, die sie mit mir aufgewachsen ist, in so wunderbarer Erinnerung habe, weil niemand das geringste Interesse hatte, sich einzumischen in unsere Verbindung. Da klar war, dass sie bei mir bleiben würde, bis eine Lösung gefunden war, war der Umgang mit dieser völlig neuen Situation ziemlich herausfordernd für mich, da ich mich bereits für ein bestimmtes Leben entschieden hatte, das als Quelle die Meditation hatte, und nun war das Kind da und dieses Leben doch vorübergehend sehr verändert. Es hatte also die ganze Ernsthaftigkeit einer mütterlichen Verantwortung, aber auch sehr viel Spielerisches und Poetisches, was mich in ein anhaltendes Staunen versetzte, auch über meine Ignoranz, die ich vorher über die Anwesenheit dieser kleinen Geschöpfe kultiviert hatte. Dann habe ich Dr. Shyama getroffen, eine Ärztin, die mich unterstützte und mir später half, ein Ehepaar zu finden, das bereit war, das Mädchen zu adoptieren. Sie nannten sie „Asha“, Hoffnung, und als wir gestern zusammen saßen, dachte ich, dass sich schöner eine Hoffnung gar nicht erfüllen kann. Neulich bin ich an der Stelle vorbeigekommen, wo ich sie gefunden habe und früher ab und zu mal eine Riksha fuhr oder ein Bus, wo ich jetzt mindestens 10 Minuten warten musste, um eine Lücke zu finden, um unter Lebensgefahr hinüber zu rennen auf die andere Seite. Da dachte ich, wie wenig Überlebenschance sie gehabt hätte, und wie verblüffend es immer noch ist, dass ich ausgerechnet da entlang kam, wo, wie ich später erfahren habe, ihre Mutter sie kurz vorher, und direkt nach der Geburt, abgelegt haben musste, wir wissen nicht genau, warum. Als langsam klar wurde in diesen ersten Monaten, dass ich sie nicht werde mit mir nehmen können, fing ich an, mich als ihre „Agentin“ zu bezeichnen, ein ziemlich alberner Begriff, aber irgendwie auch stimmig. Bis heute schwebt etwas Unaussprechliches zwischen uns, eine schicksalshafte Nähe, die geschmiedet wurde durch eine bis dahin für mich unvorstellbare Realität. Ist Realität überhaupt jemals vorstellbar? Das Photo hat sie mir gestern geschickt (wir sitzen ja jetzt auch zusammen da mit unseren Smartphones), Es ist von der Hochzeit einer gemeinsamen Freundin, die vor Kurzem stattfand. Sie selbst hat zum ersten Mal von ihrer Hochzeit gesprochen, die wohl demnächst geplant werden wird. Sie hat jemanden getroffen, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben vorstellen kann.

 


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