o.T.

Eine Titel-Variante des Bildes oben könnte sein „die Ruhe nach dem Sturm“, oder nach dem Vollmond. Titel und Überschriften sind ja immer sehr suggestiv, auch ein reizvoller Gedanke, obwohl mir persönlich das „o.T.“ immer besser gefallen hat. Auch die Freiheit, etwas Bestimmtes sehen zu wollen oder nicht. Dann bin ich erstmal raus zu meiner täglichen Morgenrunde, wo der öffentliche Raum fast menschenleer wirkt, was in Indien eher einen relativen Eindruck beschreibt. Dann erkundige ich mich bei dem Sadhu, der nicht weit von „meinem“ Sitz in einer Mini-Zelle wohnt, wie’s ihm heute geht, denn er hat einen qualvollen Ischiasnervschmerz und möchte „gehen“. Zur „Kumbh Mela will er noch einmal reisen, dem großen Sadhu-Treff (und größtes religiöses Fest der Welt), das alle 3 Jahre in vier verschiedenen „heiligen“ Städten stattfindet. Danach, denkt er, kann er das alles beenden. Sie können nie zugeben, vor allem nicht vor sich selbst, wie ungeheuer zäh und langweilig die Zeit für sie vergehen kann, so als würde der Anspruch auf Heiligkeit automatisch gedehnt werden und wäre in sich stets erfreulich. Deswegen hat auch ins Zentrum der heiligen Männerhorden das Smartphone eingeschlagen wie Shiva’s Dreizack. Die Abhängigkeit von den Devotees hat sich umgepolt in eine neue Form, deren Wirkung es erst noch zu erleben gilt. Dann sehe ich beim Weitergehen auf einmal ein riesiges Aufgebot an Polizisten. Fahrzeuge müssen umkehren, ich werde gefragt, wo ich hingehe. „Paricrima“, sage ich, der Name für die Umrundung des Sees, ein Schlüsselwort, das in ein Schloss passt. Heute kommt Rahul Gandhi hierher zur See-Segnung, denn am 7.12. sind Wahlen, und er taucht bei den Muslimen und bei den Hindus auf für seine Congress Partei. Seine Mutter, Sonia Gandhi, hat sich trotz aller Schikanen und Anfeindungen, weil sie Italienerin ist, souverän durchgesetzt, hat aber diesen Sohn, der es bis jetzt nicht geschafft hat, die Inder von seinem Hindusein zu überzeugen. Sie sehen ihn als Weich-Ei und fragwürdigen Spr0ss der Gandhi-Dynastie. Aber gleichzeitig ermüdet gerade die Begeisterung für die regierende Partei (BJP) unter Narendra Modi, einer unheimlichen Figur, die vom Westen aus noch schwerer zu erfassen ist als etwa die Vorstellung des nordkoreanischen Machthabers beim Frühstück mit seiner Frau. Ich treffe auch hier selten auf jemanden, der weiß, wer Deutschland gerade regiert, aber Modi’s Methoden sind wahrhaft undurchsichtig. Seine Identifikationen reichen von Vorzeige-Yogi bis zukünftigem Weltenherrscher, was wegen dem ständigen Lächeln keiner vermutet. Für diese heimlichen Machthaie ist Donald Trump als der perfekte Vortänzer gekommen. Während also durch ihn da vorne am Vorhang die alberne Show abläuft, wuselt es hinter den Vorhängen unter konzentriertem Druck und bastelt an Plänen, bis die Zeit reif ist. Wann eine Zeit reif ist für etwas unterliegt entweder der individuellen Entscheidung, oder etwas Ungesehenes hat sich energetisch zusammengeballt, oder wird durch die gemeinsame Überzeugung einer Masse in eine Wirklichkeit katapultiert, oder die Bemühung um das Verständnis eines guten Lebens oder schon eines gut gelebten Tages kann eine natürliche Reife hervorbringen, wenn das Innen und Außen zu einer gewissen Harmonie gelangen, ohne voneinander abhängig zu sein, d.h. eine Freiheit entsteht im verfügbaren Raum, am besten dem hinter allem sich endlos ausdehnenden Raum, der einen großzügig zulässt als sich selbst, ganz und gar beteiligt (und auch gar nicht), am aktuellen Vorgang. Man kann auch danken, dass man noch lebt und beim Herumgehen nicht ausgerutscht ist auf den Unebenheiten.

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