Fenster

Immer mal wieder in verschiedenen Kontexten fällt mir der Satz von Graf Kayserling ein, den er in seinem Buch über die europäischen Völker geschrieben hat, und zwar, dass der Deutsche eine Monade (also eine Einheit nach Leibniz) ohne Fenster sei. Nun ist das Buch, wenn ich mich recht erinnere, in den zwanziger Jahren herausgekommen und es sprengt geradezu die Vorstellung, was sich seitdem alles verändert hat, sodass man in vieler Hinsicht von derselben Welt nicht mehr sprechen kann. Kayserling vergleicht in seinem Aufsatz die Deutschen mit den Indern in dem Sinn, dass sie im Denken verankert sind und entsprechende Strukturen und Systeme hervorbringen wie z.B. das Kastensystem, das hier in Deutschland zwar nicht festgelegt, aber deutlich sichtbar ist. Vielleicht kommt es hier auch zu Unterschieden in der Seinsqualität. Gehe ich, wie in Indien, von einem großen, (kosmischen) Seins-Raum aus und komme dann zu den Strukturen, die dem kulturellen Ordnungswillen entsprechen, dann ist das anders, als wenn die persönliche Seinswelt aus meiner Monade besteht und ich davon ausgehe, dass das, was ich wahrnehme, generell so ist. Differenzierungen erfordern unglaublich viel Mühe, man muss dazu bereit sein. Auch will zB jemand, der sonntags glücklich zum Tatort-Club geht und sich auf die nächste Show freut, sicher nicht analysiert haben, wie schädlich so ein krimineller Blödsinn unter Umständen für die Psyche der sich damit Unterhaltenden sein kann, aber natürlich nicht muss. Egal aus welcher Richtung, immer wieder kehrt man zurück zum Blick, den man auf alle Dinge wirft und mit dem man nicht nur sich selbst, sondern alles Betrachtete verändert. Für diesen Blick die volle Verantwortung zu übernehmen, halte ich für ein hohes Gut. Es heißt ja, sich dem eigenen Handeln und der eigenen Wirkung bewusst zu werden und genau da, wo man die einzige Möglichkeit einer Veränderung hat, sich auch wirklich um sie zu kümmern. Das Bewusstsein, das sich selbst wie ein Auge bewegen kann, sieht, wenn es will und geschult wird, lernt sehen, wer und wie man ist, und kann sich auch überraschen lassen, nicht nur erschüttern, von den nackten Tatsachen, die sich in der Psyche bewegen, als könnte es nicht anders sein. Bevor ein Licht drauf fällt. Eine Art Leuchte, die man einschalten kann, wenn man es wirklich wissen will. Dann macht auch die deutsche Monade vermutlich ihre Fenster auf und lässt Luft (und Liebe) in die Sphäre strömen, und da, wo es gelingt, wird es gut unter Menschen. Ich erinnere mich auch, wie begeister ich war, als ich zum ersten Mal hörte, dass der Diamant eine geschliffene Kohle ist. Überall Eintritt zum Welten-Theater. Vielleicht wird es im dritten Akt auch so ernst, dass man die Spielfreude verlieren könnte. Oder es dazu kommt, dass man sich selbst als Kraft wahrnimmt, die förderlich und gemäß der Möglichkeiten auf den natürlichen Strom des Geschehens einwirken kann, ohne seine inhärenten Gesetze zu verletzen, und ohne den Verlust der Spielfreude beklagen zu müssen.

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