vollkommen

In einem gestrigen Telefongespräch mit einer jungen Frau, die ich in Indien kennen gelernt und befreundet habe und die in Berlin nach viel Ausbildung kompetenten Yogaunterricht gibt, kam es auch zu dem Austausch über die Idee, wie viel Ausbildung man eigentlich braucht, um sich „kompetent“ genug zu fühlen, den eigenen Weg zuversichtlich zu gestalten. Natürlich ist auch die Yoga-Ausbildung keineswegs eine Ausnahme bei dem, was wir von Luhmann über Systeme vermittelt bekommen haben, z.B. dass eben jedes System sich nur selbst verstehen kann. Meine persönliche Erfahrung dazu ist auch, dass ein System umso zäher jemanden der darin Übenden entlässt, je religiöser es gebündelt ist.  Meist fängt sowas ja ganz harmlos an, und wenn es vielen guttut, was angeboten wird, wer könnte sich dann ermächtigt fühlen, so ein Programm ganz zu verlassen, auch wenn es viel an Glaubwürdigkeit verloren hat. Alle Systeme müssen doch letztendlich an Glaubwürdigkeit verlieren, da sie todsicher ihren anfänglichen Anspruch nicht aufrechterhalten können. Was ist so ein Anspruch. Die Freundin aus Berlin, hellwach und erfolgreich in ihrer Arbeit, aber regelmäßig von Zweifeln an dem eigenen Können gepackt, erzählte mir dann, dass sie an einer Ausbildung teilgenommen hat, wo der Lehrer gerne wiederholt seinen SchülerInnen klar machte, dass es, offensichtlich seiner Meinung nach, keine Vollkommenheit ohne Spagat geben könne. Das ist ein schönes Beispiel. Liebe Kinder, ohne Spagat werdet ihr ein Nichts sein! Eine andere Frau, die auch (leider wahrscheinlich zu lange) auch in so einem Unterricht war und der der Spagat quälend schwer zu erreichen schien, fragte dann mal nach, ob, sollte sie je einst die Spagatitätsfähigkeit besitzen und damit vielleicht einen kleinen Vollkommenheitsstempel unter ihre Slits-Papers (Spagat-Papiere) mit den ausgefüllten Formularen unter Beifall der noch Spagatunfähigen bekommen, ja dann, wollte sie wissen, was sie denn im Leben noch so damit anfangen könne? Eine Frage, die schwierig zu beantworten ist. Alle in diesen Schulungssystemen, ich spreche auch aus einer Erfahrung der ehemals meinigen, haben natürlich die nötigen Anekdoten parat, alle mehr oder wenig abgehoben, auf jeden Fall in der Nähe göttlichen Einwirkens angesiedelt. Wenn einmal bei Erfolg der Schulung Tausende von Menschen von diesen immer fixierteren Geschichten, die ja, meist in Indien verwurzelt, vor allem für Westler einen Hauch Hand und Fuß haben müssen, und  der als „unfehlbar“ deklarierte Antwortgebenmüsser kann hier viel über sich lernen. Gerade westliche Menschen, die ja immer noch scharenweise in indische Ashrams pilgern und oft in psychischen Kellern nach Laternen suchen, sind sehr geeignet für das Licht, das sie durch ihr Interesse am jeweiligen Wissen der Lehrenden oft erst entfachen, wenn auf die endlosen Fragen geantwortet werden muss. Der ganze geistige Schulungsapparat hatte zweifellos seine Berechtigung in einer bestimmten Zeit. In meiner Schule zum Beispiel gab es uneingeschränkte Möglichkeiten, in wirklich schönen, lichten Räumen still zu sitzen, sprich: zu sich zu kommen, wann immer man wollte. Überall gibt es ähnliche Symbolik und Ausrichtungen, aber das Gedankengut steht im Weg. Um etwas besonders zu machen, braucht es allerlei, was sich nicht unentwegt halten kann. Geistige Lehrer mit hohen Ansprüchen, ohne die es ja kaum geht, werden oft höllisch gepeinigt von dem, was sie anderen als „schlimm“ verboten haben. Wenn die Stories, die alles zusammenhalten, dann vor aller Augen zerbröckeln, was bleibt dann? Viele bleiben, andere gehen überall hin, denn wenn der eigene Hunger nicht gestillt werden konnte, muss der hungrige Geist immer Nahrung von außen haben, die er oder sie sich einverleibt für einen flüchtigen Nu der Zufriedenheit. Natürlich gilt auch der Wert förderlicher oder notwendiger Weiterbildung. Das ist ja auch nicht, was ich meine. Ich meinte eher die Gefahr des Hungry-Ghost-Syndroms, das vor lauter Hunger-Hecheln keine Substanz ansammeln kann. Und dass man jedes System, vor allem das eigene, durchleuchten kann auf seine Glaubwürdigkeit, und „last not least“: kein Spagat-Zwang! (Sieht natürlich toll aus, wenn’s jemand kann – §%?=:).!

 

Das wunderbare kleine Spagat-Wesen im Bild ist ein Objekt von Henrike Robert.


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