unabhängig

Bildergebnis für Bharat Mata
Die indische Nation als Göttin, das würde (noch) keinen Inder und keine Inderin erstaunen oder erschrecken. Ja, es war Unabhängigkeitsaufmarsch-und jubel, vorgestern. Ich war unterwegs und wurde durch das Radio darauf aufmerksam. Ein indischer Musiker klagte darüber, dass die Entwicklung der modernen indischen Musik global gar nicht wahrgenommen wird, weil die Westler sich immer noch keine Musik aus Indien ohne Tabla vorstellen können. Generationen von Westlern haben sich in kleinen Räumen die Finger wundgetrommelt, das will man doch nicht einfach vergessen. Wir mochten ja das grandiose, staubige Getümmel mit den herrlichen Orten, den noch einigermaßen sauberen, heiligen Gewässern und der genialen Überlebenskraft der Hindu Gesellschaft. Auch sie haben das blutige Erbe hinter sich, sind permanent von irgendwem bestimmt worden, bevor der kleine weißgekleidete Kauz Ghandi seine Lebensaufgabe entdeckt hat, aus den Indern eine eigenbestimmte Menschheit zu machen. Mir wurde oft vermittelt, wie friedlich Muslime und Hindus einst lebten, aber über die blutigen Kriege kann man mit niemandem reden. „Geh doch nach Pakistan!“ ist ein gängiges Schimpfwort geworden. Als Mani eine Niere brauchte, brachte ihn sein Bruder heimlich nach Pakistan, weil es da welche gab. Alles war wie im Krimi. Der Preis, das schreckliche Geheimnis, das auch ich hüten muss, denn niemand darf jeh erfahren, dass die Leber eines Brahmanen aus Pakistan kam. Die Mittelschicht will sich natürlich weiterentwickeln, wer will es verübeln. Man kann der ganzen Schicht ja nicht zumuten, sie müssten sich um die Millionen Abgehängter kümmern, die mit ziemlicher Häufigkeit noch ihre Kinder zerhacken, wenn die nicht die richtigen Menschen in der vorbestimmten Kaste heiraten. Wir hatten davon ja auch keine Ahnung. Wir kamen in ein riesiges Land mit freundlichen Menschen, die an Höflichkeit und eingefleischtem Wissen kaum zu überbieten waren. Und das bei gutem Milchtee und einer sehr spürbaren Zeitlosigkeit. Bis heute kann man in Indien zu spät zur Arbeit kommen, weil jeder versteht, was geleistet wird. Überhaupt ist das Zuspätkommen eine Volkseigenschaft, an der noch niemand rüttelt. „Unabhängigkeit“, ein sehr anspruchsvoller Begriff. Sind sie denn unabhängig geworden, die Hindus? Von Pakistan sicherlich nicht.  Täglich kriegelt es hier und dort, sie hängen ganz schön aneinander, die neuen Feinde. Wenn sinnloses Schlachten stattgefunden hat, kann man das wirklich vergessen, ohne mal kollektiv darüber nachgedacht zu haben? Kann das gut gehen? Nach dem großen Schweigen kamen die Telefone, erst in öffentlichen Häuschen, dann an der eigenen Wand mit Schnüren, dann in der Hand ganz klein. Nun wachsen sie wieder in der Hand, die unerlässlichen Sprachrohre, an denen auf einmal die ganze Nation hängt, als hätten sie tausende von Jahren gar nicht gewusst, mit wem man alles reden kann. Und was man wählen kann mit dem eigenen Gehirn oder mit der Familie auf den riesigen Flatscreens. Nur wir Indien-Reisenden vermissen dieses bunte virtuelle Gewimmel nicht. Wir trauern ja den staubigen Straßen nach und dem ungiftigen Tee. Wir trauern dem Indien nach, von dem wir abhängig waren und das sich jetzt durch Kopieren von uns und unseren Gesellschaften aus unserem anhänglichen Blick herausschält in die moderne Unabhängigkeit. Klar war das beeindruckend, einen indischen Transgender-Sänger im deutschen Radio ein schönes Lied singen zu hören. Den Paragraphen 337 gibt es immer noch. Und wenn ihr euch anständig anzieht, ihr Frauen, und abends nicht draußen rumhängt, passiert euch auch nichts. Die Wege der sogenannten Entwicklung sind weit und gefährlich. Und ob es Menschen wirklich gelingen kann, in eine innere Unabhängigkeit zu kommen, um über ihr eigenes Leben souverän entscheiden zu können, hängt nicht vom Atomprogramm der Nation ab und nicht von ihren militärischen Darbietungen.
 
Das Bild ganz oben zeigt „Bharat Mata“. „Bharat“ ist ein altes Wort für Indien, und „Mata“ heißt Mutter. Das untere Bild zeigt einen göttlichen Fußabdruck auf einem herumliegenden Sandstein im Dorf.

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