Am Sonntag gehe ich meistens nicht raus. Nicht, weil alle Läden zu sind wie bei uns im Westen, sondern weil eine Unmenge Menschen hier antanzen, einerseits, um das obligatorische Bad zu nehmen, andrerseits, um die berüchtigten Foreigners zu sehen. Da sieht man auch eine ganze Menge, zB habe ich, weil ich ausnahmsweise doch draußen war, einen jungen Mann gesehen, der hatte ein Bein vollkommen schwarz tätowiert, ganz ohne Design, nur schwarz. Das muss schmerzhaft und vor allem teuer gewesen sein, sagte ich fragend, und er bejahte das gerne. Ich war auf dem Weg zu Lali. Wir gehen einmal im Jahr zusammen zu einem Devi-Tempel, hier Jamunda Mata genannt, eine der furchterregenden Göttinnen, die meist aus einem runden Stück Stein besteht, in den man Augen einsenkt und dann das Ganze mit Farbe überpinselt. Na ja, wir gehen da gerne hin, weil der Tempel in einer wunderschönen Gegend liegt, wo einen das zeitlose Indien ergreift und man überlässt sich erstaunt dem Erleben an sich. Links eine Felsenwand, auf der Affen sich tummeln, rechts riesige Gärten, wo sattes Grün wächst und Rosen, die berühmten Rosen, die man später in der Marmelade oder dem Wasserfläschchen finden kann oder in den Tempeln vor den angebeteten Herrschaften. Auf dem Weg schweigsame Männer mit großen Herden der schönsten Ziegen, die ich je selbst betrachten durfte. Kann man mal eins der Kleinsten von ihnen auf den Arm nennen, ist man verwandelt, denn man weiß jetzt, was das ganz und gar Schmiegsame ist, das gleichzeitig vollkommen frei ist. Bei Jamunda hat man übrigens früher Ziegen geopfert, das macht der Mönch, der dort jetzt lebt, zum Glück nicht mehr. Sein Stein hat ein hübsches Kleidchen an, davor ein bunter Vorhang, der zugezogen wird, wenn sie schläft. Das ist alles in seiner Schlichtheit so ungetrennt vom Irrsinn, dass es schon wieder befreit, denn wer es verstehen will, wird scheitern. Da sitzen Lali und ich dann herum, der „Baba“ kennt uns schon und redet eine Weile mit uns oder erklärt anderen, die dort ankommen, wer wir sind, und da hört man lieber nicht hin, denn es kann sehr weit von allem entfernt sein, was man selbst über sich weiß. In Indien habe ich außerdem erfahren, dass ein schlechter Ruf keineswegs ungünstiger ist als ein guter Ruf, beides möchte man lieber nicht haben. Aber gut, ich komme zum Kern meiner Sonntagsgeschichte: wir sitzen also da, Lali und ich, und reden über etwas Neues, was sie in ihrem Leben machen will, da kommt ein Rajasthani Maharaj, wie sie hier genannt werden, mit einem riesigen roten Turban auf dem Kopf und einem Dhoti an, einem ausgetüftelten Teil aus ein paar Metern feinster Baumwolle, und setzt sich nicht weit von uns entfernt hin und hört nicht auf, uns anzustarren. Dann spricht er uns an. Forschend und ernst sagt er zu Lali, sie sei wohl die Frau, die man überall sucht, weil sie ohne ein Wort zu sagen ihre Familie verlassen hat, und, strenger Blick auf mich, wohl mit dem Mann (ich), der nun neben ihr sitzt. Sie schafft es, in Marwari, dem lokalen Dialekt, zu verneinen, ob er überzeugt war, wissen wir nicht. Obwohl ich es am Morgen erlebt habe, staune ich noch am Abend darüber, und noch, während ich es erzähle, kichert es hilflos aus mir heraus. Wieviel Freiheit man doch den Menschen gewähren muss, einen in ihrer Geschichte so zu sehen, wie es für sie in ihre passt. Früher stand ich oft dabei, wenn jemand aus dem Dorf einem Pilger, der wissen wollte, wer ich denn sei, zB munter und angeregt erzählt hat, ich würde so schön Flöte spielen, obwohl mein Mund seit meiner Kindheit an keiner Flöte mehr war, oder ich würde Tag und Nacht die Zimbeln schlagen, davon war ich noch weiter entfernt. Und so ist es vorteilhaft, das eigene schlichte Leben, das ich nun einmal führe, unbekümmert weiterzuführen, und auch Andere in der Weiterführung ihrer Geschichte nicht weiter zu stören, auch wenn man darin als vielerlei auftaucht, wen kümmert’s. Dann gibt es die Wunder. Das Auge der Liebe. Die Achtsamkeit. Die Freundschaft……
Das Photo von Lali, die ich seit ihrem vierten Lebensjahr kenne, habe ich vor einiger Zeit gemacht. Heute dachte ich, dass es vielleicht ganz schön ist, mal den Namen mit dem Bild zu verbinden.