„Simple living – high thinking“ ist m.E. der beste Satz, den die Inder ausgebrütet haben, und den ich je über das Leben gehört habe. Einfach leben, hoch denken! Das ist so genial, dass ich immer wieder davon ergriffen und angeregt bin. Sofort weiß man, dass es die reinste Wahrheit ist, was nicht bedeutet, dass man gleich in ihr leben kann. Als ich über zwei Jahre in der Wüste in einem Tempel saß und lernte, mich mit den Menschen, die aus naheliegenden Feldern und Dörfern kamen, zu unterhalten, war ich oft verblüfft über ihre Weisheit, die sie, ohne selbst lesen und schreiben zu können, von Mönchen und Priestern gelernt hatten, und die durchaus auch in ihrem Leben Wirkung zeigte und Achtung einflößte. Dann war ich allerdings auch noch da, als die Maschinen kamen, und da sah ich, dass sie absolut nicht gefeit waren gegen das Neue, das sie für eine Gottheit hielten. so wie den Lichtschalter, vor dem sie sich auch heute noch verbeugen mit der simplen Logik: Gott ist Licht, dann ist Schalter Gott, bzw, ist er da, wenn man ihn einschaltet. Wenn dann die Elektrizitäts-Rechnung kommt, geht sie da leider oft nicht auf.
Das einfache Leben, ja, was ist das!? Als ich das eigene Leben in Indien dann an den Punkt habe kommen lassen, wo ich tatsächlich nichts mehr hatte als 2 Lunghis (Tücher, die man zu einer Art Rock faltet), zwei Oberteile, einen Schal und eine Decke, etwas Papier und ja! Juhu!, einen Rapidographen, für den mir mal ein Bombay-Besucher von dort Tinte mitgebracht hat, o seliges Wunder. Da war dann mein ganzes Sein vollkommen erfüllt mit Da-Sein. Alles war nur noch reichhaltig, aufregend und einfach. Mit allem war ich so gern und intensiv beschäftigt: mit Wasser holen, Holz holen für mein nie ausgehendes Feuer, alles durchfegen, bevor um 6 Uhr früh die ersten Tempelbesucher kamen. Dann vor allem das Sitzen, das gute und begeisterte Sitzen, um die Pracht des Universums innen und außen zu genießen, die zurückstrahlt auf das eigene Denken und Wirken. Ja, das geht bzw. ging in dieser Form nur in Indien, weil Wetter und Tradition es ermöglicht haben. Auch geht es nicht darum, gar nichts zu haben, sondern zu wissen, was „genug“ ist, damit man das Wesentliche nicht aus den Augen verliert. Der Satz muss überall lebbar sein, sonst ist er nicht viel wert, gebunden an ein einziges Land. Aber überall kann man lernen, das Komplizierte zu vereinfachen, um dem Komplexen Raum zu geben in seiner ganzen, bereits vorhandenen Vollkommenheit. Dann sind wir Reisende auf einem Weltschiff und durchqueren in großer Ruhe und Aufmerksamkeit die kostbaren Stunden des Lebens. Hier wie dort muss Leben finanziert werden, das ist wahr, und das kann mühsam und anstrengend sein. Aber es fügt sich besser, wenn das Wesen des Lebendigen vorherrschen kann und man für die eigenen Fähigkeiten Verantwortung übernimmt. Es gibt nichts auf der Erde, von dem man nicht lernen kann, und so scheint alles gewillt, dass man zu sich kommt und erfüllt ist mit Freude und Dankbarkeit.
Was das „Haben und Nichthaben“ angeht, so gibt es eine dieser schönen Anekdoten hier von einem König, der so hungrig war nach Wissen, dass er einen berühmten Weisen kommen ließ, der nur eine Schale und einen Stab besaß. Irgandwann brach ein Feuer aus im Schloss, und der König, schon tief berührt von der Weisheit des Seins, bewegte sich leichtfüßig ins Freie, während sein Lehrer bemerkte, dass er drin seinen Stab vergessen hatte, an den er sehr anhänglich war, zurücklief ins Feuer und verbrannte.
Das Pflänzchen auf dem Bild habe ich gestern auf einer Marmortreppe entdeckt, beeindruckt von so einer natürlichen Durchsetzungskraft.