Unterste Kaste. Unberührbare. Menschen, die nur den Dreck von anderen wegmachen dürfen. Von den Straßen, den Dreck vor den Türen, den schwarzen Schlamm dort, wo die Kinder aufs Klo gehen, die Toiletten in den Häusern. In jedes Haus kommt ein Sweeper für die niederste Drecksarbeit. Manchmal werden die Frauen „rani“, „Königin“ genannt, das finde ich niederträchtig, als würde es dem verachteten Job eine Krone aufsetzen. In der Zwischenzeit gibt es auch kleinere Lastwagen mit Sweepern, die den Müll mit irgendwelchen Pappkartonteilen hinaufwerfen. Ich zwinge mich immer hinzuschauen, weil ich nicht wegschauen will. Um den See herum sind es fast nur Frauen, die kehren. Irgendwann hat man ihnen neue Besen mit langem Stiel verabreicht, sah besser aus, da sie sonst das Zeug mit Händen in Plastiksäcke verfrachtet haben. Die neuen Besen haben es aber auch nicht besser gemacht. Gute und regelmäßige Bezahlung würden es besser machen, aber das wird oft verschleppt oder vergessen. Ich grüße die Frauen seit Jahren; sie sind nicht leicht ins Freundliche zu gewinnen, so freue ich mich über jeden herzlichen Kontakt, oder wenn sie mich nach all dieser Zeit von selbst grüßen. Einmal wollte ich ein Photo machen von einer Sweeper-Frau, aber sie lehnte vehement ab und schaute mich streng und misstrauisch an. Ich habe mich dann entschuldigt und erst heute aus der Ferne das Bild (s.o.) von dem Sweeper gemacht, der um meinen Platz am See herumfegt. Gegen Arbeit, egal welcher Art, ist sicherlich nichts einzuwenden, wenn man selbst oder eine Familie ernährt werden muss. Aber eine Kaste daraus zu machen, wo jeder und jede Hineingeborene nur Sweeper werden kann, das ist vollkommen unakzeptabel. Vor allem jetzt, wo sich alle weiter entwickeln wollen und Fernsehen und Smartphones zur Standard-Ausrüstung gehören, lässt man eine bestimmte Kaste weiterhin den Dreck wegräumen und die Klos putzen! Manchmal bin ich so empört, dass ich eine Zeitlang das Thema bei jeder Gelegenheit anspreche. Dazu kommt, dass die Mädchen dieser Kaste nie sicher sind vor Vergewaltigung. Sie sind ja nichts wert in anderen Augen, und die Eltern gehen selten zur Polizei, weil sie wissen, dass ihnen niemand hilft. Und trotzdem bewegt sich langsam hier und da was…..sehr langsam, aber dennoch. Von den Nutznießern solcher Unmenschlichkeiten ist nicht zu erwarten, dass sie etwas verändern wollen. Aber es gibt neue Initiativen, und Schulen, oft von Ausländerinnen gegründet, wo alle willkommen sind. Reena hat mir erzählt, dass in ihrer Klasse eine Sweepertochter saß, ganz hinten und verstummt, weil niemand mit ihr geredet hat. Dann hat sie eine Freundschaft mit diesem Mädchen angefangen, und alle haben auch mit ihr nicht mehr geredet. Ihre Mutter war entsetzt, nicht darüber, sondern dass ihre Tochter diese Freundin hatte. Wir Menschen sind alle auch schrecklich. Es dauert so lange, bis man wirklich berührt wird von dem Unsäglichen, das in vielen Formen unter uns stattfindet. Lali nennt es „out of human“, also das Menschliche verlassend. Man grübelt vergebens, durch was es geschieht, denn so sehr Bildung gepriesen wird, macht es vor ihr nicht halt. Durch Bildung wird es, wie wir im Dritten Reich gesehen haben, nur abgefeimter, perverser, sadistischer. Man muss das eigene Wesen kennen lernen und hüten, bis man sicher sein kann, dass man zu manchen unmenschlcihen Taten nicht mehr fähig ist. Garantie scheint es keine zu geben. Wir müssen verstehen wollen, was „menschlich“ persönlich für uns bedeutet, sodass wir uns eines Tages ohne Scham und Entsetzen im menschlichen Leben bewegen können.
Zurückgekommen vom Morgen überfliege ich die Titelseite der Times und sehe die stolze Nachricht, dass die Inder 104 Satelliten auf einen Schlag ins All befördert haben. Dann daneben eine kleinere Notiz, die mich erstaunt und erfreut, dass nämlich ein neues Gesetz herauskommt, um die Gästezahl und die Anzahl der dargebotenen Gerichte bei Hochzeiten einzuschränken. Wer über 4 Lakh ausgibt, muss 10% für Hochzeiten armer Familien spenden. Die ekelerregende Großkotzerei bei Hochzeiten ist in den letzten Jahren in der Gesellschaft oft Gespräch gewesen. In allen Ländern kotzen manche groß, wo andere nichts haben, aber in Indien weitet sich der Abgrund schon ins Unermessliche, und es sind nicht nur die 84 registrierten Billionäre Indiens, die einen das Fürchten vor dem Menschen lehren können.