unter Auserwählten

Die Brahmanen, ja, das ist ein Grüppchen, an dem sich schon einige Geister die Substanz abgewetzt haben. Ich fange mal mit den menschlich erträglichen Priestern an und weiß nicht, ob eine einzige Hand mit fünf Fingern nicht schon zu hoch gegriffen ist. Lali ist Brahmanin von der höchsten Sorte, denn in ihrer Kaste gibt es allein im (10 000 EinwohnerInnen umfassenden) Dorf 36 unterschiedliche Brahmanenkasten oder wie immer man’s nennen möchte. Sie ist ein Juwel und ihre Kaste ist ihr glaubwürdig egal, das ist erfreulich zu erleben, und ich habe auch bereitwillig bei dieser Einstellung mitgeholfen. Bei dem Rest ihrer Familie sieht es schon anders aus. Der Sohn bzw ihr Bruder, ein Junkie, der, wenn er kein Heroin hat, sich auch gern mal betrinkt, lallte neulich mal an einem Sadhufeuer (Dhuni) rum und war so fies, dass ich den Sadhu im Vorübergehen fragte, wie er das zulassen könne. Er sagte, mit schiefem Blick auf den Störenfried: Brahmin hai! Er ist Brahmane! Darf lallen und Worte auskotzen, ist aber immer Brahmane. Es gibt die verbreitete Angst vor ihnen, die ich früher auch ein-oder zweimal hatte, als ich zu irgendwas eine gegensätzliche Meinung äußerte und nicht nur merkte, wie gefährlich das sein kann, sondern erst später begriff, dass Brahmantum nichts mit üblicher Bildung zu tun hat. Eigentlich ist nur noch die Einbildung übrig, das ins Blut geträufelte Auserwähltsein, von dem in Indien keiner mehr weiß, wie lange das schon gebrütet und gewütet hat, Man möchte gerne mal konsequenterweise von einem Land fernbleiben, in dem solche Realitäten unumstößlich scheinen. Doch da ich selbst aus einem Land komme, in dem der arische Auserwähltenalptraum in unvorstellbarem Maß gewütet hat, kann man auch mal hinschauen in eher gelassener Position, und schauen, wie so etwas möglich ist. Es braucht Diener, um Herren zu machen und zu halten. Sie halten sich gegenseitig in Form. Das schützt den Missbrauch. Wenn der zu offensichtlich wird, kommen Groll und unterdrückter Hass gegen das darin Gefangensein. Ich erinnere mich an die Türken in Deutschland, die unsere Abfallkübel in die Lastwagen geschüttet haben, und niemals wussten wir irgendwas über sie oder von ihnen, bis erstaunte deutsche Blicke auf ihren Mercedes-Limousinen landeten. Auch hier gibt es ein Hochkommen aus dem Kastensumpf. Jetzt hassen die Brahmanen die niederen Kasten eher, weil die Regierung, gezwungen durch internationale Kriterien, ihnen die besseren Chancen für Bildung anbieten. Aber das hört nicht wirklich auf im Alltag. Noch im Tod wird getrennt. So gilt wohl, wer sich einfügt in das Vorgegebene, muss sich damit zurechtfinden bzw. damit umgehen lernen, vor allem, wenn es scheinbar keine Wahl gibt. Es gibt aber Wahl. Mir kam der Gedanke bzw. die Erkenntnis, dass auch die Kuh, die an meinem Sitz vorbeitrabt, auserwählt ist, denn sie ist da, und auch sie hat eine gewisse Entscheidungsfähigkeit wie mein Geist, der seine eigene Art hat, mit den Dingen umzugehen. Er bewegt sich innerhalb und außerhalb des Kastensystems. Selbst frei, regt er gerne an zum Erwachen in diese Freiheit. Dann wird alles einfach und man kommt ziemlich gut miteinander aus….Mir wurde auch mal das Brahmanentum angeboten. Von der ganz frühen Kastengeschichte her kommt die Sage, dass es einst nur um die Einordnung verschiedener Talente und Fähigkeiten ging. Dass ich aus dieser Gedankenhypnose heil herauskam, rechne ich mir an: dass ich stocknüchtern genug war, der Verlockung solch geistiger Reize und Angebote, wie sie unter Hindus üblich sind, zu widerstehen. Das ist lange her, aber immer noch kann ich ihn spüren, den kalten Windhauch um das gefährdete Herz.
Interessant ist (vielleicht) noch, dass die Brahmanen in ihrer eigenen Geschichte, nämlich die von Brahma, dem Schöpfer, von dem sie ja (ihrer Meinung nach) direkt abstammen, von dessen Frau Savitri direkt am Anfang der Story verflucht werden, weil sie es zugelassen haben, dass sie, da sie verhindert wurde zum pünktlichen Beginn der Rituale, sie mit einer anderen Frau bzw dann Göttin, ersetzt haben. Arm werdet ihr sein, fluchte sie, und selbst wenn Reichtum zu euch kommt, werdet ihr nichts davon haben….Man könnte es fast glauben, so wahr sieht es aus…..

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Bild: Immer mal wieder liegen diese kleinen Gebetshefte in Sanskrit in der Gegend herum. Das da oben habe ich heute früh gesehen und fand vor allem die kleine fette Figur unten so ausdrucksstark, da es mich an die Brahmanen erinnert hat

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