entscheiden


Geisterstunde
Zwischendrin fiel mir der stets etwas naiv anmutende Satz (der Sixties) ein: Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin. Man kann solche Vorstellungen durchaus mal haben, auch wenn man gleichzeitig weiß, dass es immer welche geben wird, die hingehen, aus den verschiedensten Gründen. Noch schlimmer wie manche dieser Gründe ist es, wenn keine Wahl mehr da ist, wie jetzt für die Männer und Frauen in der Ukraine. Etwas Furchbares setzt sich in Bewegung: Frauen mit Kindern verlassen das Land, um irgendwo anders Flüchtlinge zu werden, und die Männer erleben dasselbe Schicksal, was sie und wir alle aus anderen Kriegen kennen. Wenn das Leid, das keinen Namen mehr hat, in den verletzten Körpern und Geistern sitzt und so viel Raum einnimmt, und selten wirklich Heilung erfährt. Wenn das schreckliche Wort „Welt-Krieg“ wieder über Lippen kommt, und man merkt, wie seltsam befremdlich es klingt, so, als hätte man die Vorstellung vollständig vergessen, dass so etwas Unvorstellbares wieder passieren könnte. Wir wissen und wussten ja auf die eine oder andere Weise, dass wir in einer doch sehr privilegierten Zeit leben, wir aus dem Westen vor allem, die wir uns in einem erstaunlichen Freiraum entfalten konnten und können. Was automatisch im Angesicht der verheerenden Vernichtungsvorgänge in dieser Welt immerhin eine Art Gegengewicht darstellte oder ein Bewusstsein, dass ich zwar die Geschicke, die auf mich zukommen von anderen Orten aus nicht lenken kann, aber immerhin von meinem eigenen Ort aus mir einen Weg bahnen kann durch das immense Chaos des Weltgestrüpps. Das ist doch das Abenteuer, für das ich gerüstet sein kann oder muss. Und selbst wenn ich den Umgang mit Bewaffnung kenne, kommt es darauf an, wie ich damit umgehe. Zum Beispiel irgendwann alle Waffen niederlegen: die Waffen des Mannes, die Waffen der Frau. Dazwischen die Kinder, die ihrem Beispiel folgen, ihren Gedanken, ihrer Handlungsweise. Und dann das unaufhaltsame Schicksal, dass die lebendige Realität der U6kraine bereits in die epische Ebene treibt. Wie aus einem riesigen Amphitheater starren die Länder auf die Beute und die Opfer einer menschlichen Entgleisung, geboren aus innerer Zwanghaftigkeit, die nur noch die Resultate verletzter Begierden durch die verdunkelten Filter lässt, und dann!, wenn die Isolation dieses Treibers spürbar wird, dann kann die Gefahr akkut werden. Damit müssen wir unbedingt rechnen. Mit einem in die Enge getriebenen Raubtier. Deswegen ist auch die Frage, warum Donald Trump, der neulich Wladimir Putins Genius lobte, nicht bereits im Knast sitzt, vor allem zurückzuführen auf Gehirne, die das Ausmaß dieser Entgleisungen einschätzen können. Derweil sitzen und stehen und ruhen wir also noch in unseren Schlaraffenwohngebilden mit allem, was der Mensch so glaubt, brauchen zu müssen, und warum auch nicht, obwohl in der Tat alles (unnötige)Brauchen ganz sicherlich einen Preis hat, für den sich jede/r Einzelne bereit erklären muss. Dann funktioniert das Ganze zumindest eine Weile ganz gut. Interessant finde ich auch, dass genau am hoffnungsvoll erwarteten Ausklang der Pandemie schon wieder etwas geschieht, was uns alle gemeinsam in Bewegung bringt und bei allen erwünschten Solotänzen die unleugbare Abhängigkeit von einander zum Ausdruck bringt. Und deshalb ist es einerseits zutiefst bedauerlich, dass sich die Menschen der Ukraine bei uns Deutschen beklagen, dass wir sie nicht mit Waffen beliefern, aber dass genau d a s die richtige Entscheidung ist und bleibt.

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