Ankunft

„Advent“, so höre ich, heißt „Ankunft“. Erstaunlich, was man alles nicht weiß. Ankunft gefällt mir als Wort wesentlich besser, auch weil es nicht an der Ankunft des kleinen Buben klebt, der angeblich so besonders war, dass ihm Könige hinterher reisten. Leider konnte später im zugespitzten Drama keiner mehr was für ihn tun, und die Geschichtenschreiber mussten eine Menge Deutungen erfinden, um sein schändliches Leid dort auf der Gasse der Glotzer zu rechtfertigen. Aber zurück zum Ankommen. Heute kommt hier bei uns zum Beispiel der erste Schnee an. Man möchte das gewohnheitsgemäß schön finden, aber es klappt nicht ganz, weil eben der Kindheitszauber, sofern vorhanden, auch nicht mehr reicht für ein strahlendes Glitzern in einem Auge, das noch Zwerge und Engel gesehen hat ohne Gegenbeweise. Ab und zu kommt ein Paket an und enthüllt zum Beispiel ein Werk, an dem man lange gearbeitet und mit begabten Freunden in eine offizielle Form gebracht hat. Auch die wöchentliche Zeitschrift kommt regelmäßig an und erinnert einen daran, wie verdammt schnell so eine Woche vergeht, dabei hat man vielleicht nur den Artikel von Martenstein gelesen, obwohl die Titelbildfrage einen brennend zu interessieren schien, da es um die Frage ging, ob es auch ohne Religion geht, und ob die Welt dann unmenschlicher oder aber freier wäre, eine gute und mutige Frage. Da habe ich doch, dachte ich, neulich schon einen Artikel darüber in meiner Sammlung gefunden. Ich schaue nach, und oho, der Artikel ist  aus dem Jahre 2013 und heißt „Glück ohne Gott“, in dem der amerikanische Philosoph Sam Harris für eine weltliche Moral  plädiert und meint, dass wir Menschen für unser Wohlergehen keine Religion brauchen. Aber schön ist wiederum gar nicht, wenn man Gläubigen wegen der Braunkohleausbeutung ihre geliebten Kirchenräume wegradiert von der Bildfläche. Es sind ja nicht die stillen Räume inmitten des weltlichen Getriebes, die stören, sondern was dort alles angestellt wird, weil wir Menschen uns miteinander so schwer tun. Darüber kann man immer mal wieder in den verfügbaren Zwischenräumen nachdenken, obwohl man überall in den Innen-und Außenbereichen damit konfrontiert ist. Und seit die Mutanten bei uns angekommen sind, schwindet vermutlich zunehmend der Glaube an eine bewusste Kraft, die all unsere Geschicke lenkt, obwohl auch das Sprüchlein „Der Mensch denkt und Gott lenkt“ darauf hinweist, dass vom Menschen eigenständiges Denken erwartet wird. Wahrscheinlich brauchen viele Menschen beide, den Schöpfer und den Täter, die von der eigenen Verantwortung für das Angetane ablenken. Deswegen gilt es gleichermaßen in uralten wie in taufrischen Wissenskreisen als vernünftig und angemessen, bei sich selbst anzukommen. Und entspricht es nicht auch einer globalen Reife des Menschseins, die eigene Ankunft gründlich zu kontemplieren, auch wenn das Reifezeugnis oft ziemlich mangelhaft aussieht. So kann man (z.B.) die Ankunft von Omikron nicht begrüßen, aber es sagt doch etwas aus über den Zustand, in dem wir uns gemeinsam befinden, und der geradezu strotzt vor Missbrauch und Gleichgültigkeit, selbst wenn man das Glück hat, in Menschen, denen man begegnet oder mit denen man lebt, sehr wunderbare Eigenschaften vorzufinden. „Endlich angekommen im Kreis der Liebenden“, hörte man schon Rumi seufzen, als er endlich hineintaumelte in dieses unverhoffte Glück. Denn wäre er noch an einem Strohhalm gehangen, hätte der Ort sich ihm nicht erschließen können.

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