bemühen

Ein indischer Freund verteidigt und beschreibt gerne in unseren Streitgesprächen am Telefon seine Ansicht, dass alle Probleme Indiens nur gelöst werden können, wenn alle Zugang zu Bildung und Wohlstand haben. Dagegen lässt sich schwer argumentieren, ist es doch wahr, dass man mit Geld und Bildung alles Mögliche anfangen kann, nur machen sie per se keinen Menschen menschlicher, eröffnen allerdings größere Räume der Vorstellungskraft und der Handlungsinitiativen. Und klar konnten es tiefergreifende Erfahrungen in Indien für uns (verhältnismäßig) gebildete Westler sein, in ärmlichen Hütten an flackernden Feuern zu sitzen und mit der Familie den kostbaren, wohlschmeckenden Tee zu trinken. Oder das duftende Brot zu kosten mit dem herrlich gewürzten Gemüse. Auf der anderen Seite fallen mir dann etwa die Ingenieure ein, die bereit waren, ihre Tüftelfähigkeiten auf das Funktionieren von Gaskammern zu richten, um möglichst viele Menschen gleichzeitig erfolgreich zu vernichten. Auch das kann Bildung. Wir leben in Zeiten, die eher der Groteske gleichen als dem schicksalshaften Drama, für das man noch Mühe und Wertschätzung aufbringen möchte, weil die maßgebende Messlatte der Menschheitsgeschichte eine Vorbildfunktion darstellen kann. Diese Funktion besteht keineswegs aus einem Tugendkatalog, sondern man kann durchaus trauern um Schicksalsbetroffene, denen Furchtbares geschehen ist. Solange man die Not noch mitempfinden kann. Wenn man noch Zeit und Raum hat für das, was einen anspricht oder berührt. Was die Menschen und ihre Grundbedürfnisse betrifft, so kenne ich von langen Wanderungen in Indien, wenn es mir gelungen war, abends irgendwo in einem Tempel eine körperlange Fläche zugewiesen zu bekommen, wo ich endlich selige Ruhe hatte und mich mit dem eigenen Tuch bedecken konnte. Nirgendwo in der Welt habe ich so viele Menschen ihre Decke über den Kopf ziehen sehen, und ich selbst schätzte es als Privatsphäre. Vielleicht kommt es daher, dass ich immer denke, der größte Luxus ist es, eine wohltuende Ruhestätte zu haben mit der Anzahl von Kissen, die jede/r so braucht, und eine warme und eine leichte Decke, und das ganze Bezugsmaterial aus Leinen oder Baumwolle, jedenfalls schmiegsam, sodass man nicht nur gut und gerne einschläft, sondern auch gut und gerne aufsteht. Es klingt so banal und leicht zu erreichen, aber wie selten kommt es wirklich vor. Die Beziehungen müssen gut sein, das Essen gut und bekömmlich, die Arbeit ohne Versklavung. Ich habe vor allem in der Wüste häufig erlebt, dass die Reichen wesentlich ärmer dran waren als die Armen, die in ihrer Bereitschaft zu teilen oft wirkten wie Könige. Epikur lebte meist karg und gehaltvoll, und dann war er berüchtigt für exzessive Schlemmerei, das geht auch. Wenn man nun wieder einmal über die unvermeidbaren Medien in die entmenschlichten Zonen der Welt befördert wird wie das Niemandsland der tausenden von Flüchtlingen an der polnischen Grenze, für die keiner eine Lösung findet, so kann man sich die Nächte, die sie mit ihren Angehörigen oder alleine verbringen in der Kälte nicht vorstellen, und wer spielt hier mit welchem Ball um was. Wir vergessen oft, dass wir Betten und Decken haben und Menschen, die uns aushalten können, weil sie sich um uns und wir uns um sie bemühen. Wir haben die Mittel der Bemühung. Das Wesentliche scheint auch von Bildung und Geld nicht abzuhängen, egal, wie hilfreich sie sein können.

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