sterblich

In meinem Beitrag „boostern“ hatte ich vorgestern eher als Fußnote die durchaus wiederholbare Bemerkung des Soziologen Harald Welzer gestellt, dass wir uns in der Hauptvorstellung befinden und nicht in der Probe. Ich hatte ihn schon früher mal in einer anderen Sendung gesehen und gehört. Aber dieses Mal fiel auf, was auch ziemlich schnell Thema wurde, dass er nämlich in der Zwischenzeit knapp dem Tod entkommen war. Kurz nach dem letzten Interview hatte er einen heftigen Herzinfarkt, war aber noch zu einer Praxis gewandert, nicht ahnend, wie gravierend ernst die Situation war. Und er nun eine Tiefe ausstrahlte, deren Quelle einen durch Mitteilung berührte. Nun  kann man auch sich selbst nicht raten, ständig an den Tod zu denken, damit man bereit ist, wenn er kommt, was immer das heißt: bereit sein. Der Tod ist das gültige Ende der Vorstellung, selbst wenn es auch über die Rückkehr von Toten genug Anekdoten gibt, die jede Überprüfung nutzlos machen. Denn wer will sich der Mühe unterziehen, jemandem etwas auszureden, was keiner wissen kann. Mir geht es eher darum, dass es vielleicht gut ist, mal die menschliche Neigung zu überprüfen, unser Leben als einen sehr lange ausgebreiteten Teppich zu betrachten, der mühelos in eine vage Unsterblichkeit führt im Sinne, dass man sich kaum vorstellen kann, mal tot herumzuliegen, wie auch immer dieser Vorgang eingetreten wäre oder sein wird oder würden täte. Daher haben sich vor allem zwei Kulturen intensiv mit dem Tod beschäftigt, die buddhistische und die ägyptische, in denen das Kontemplieren des Abgangs eine vorrangige Stellung einnahm. Leben und Tod stehen hier in einem bewusst wachen Verhältnis, denn bedenke ich mein Sterben und meinen Tod, wird mir die Kraft des Lebendigen umso deutlicher. Und es ist nicht nur gut und wichtig zu verstehen, dass die zeitliche Segnung jederzeit eintreten kann, sonder auch, dass es nicht um die hundertjährige Durchhaltenote geht, sondern um den inneren Reichtum, mit dem ich die jeweils vorhandene Zeit beleben kann. Wer hat nicht schon mal die erstaunlichen Reichtum hinterlassenden 27-jährigen bewundert, die das, was sie zur Verfügung hatten, so früh in eine Essenz packen konnten. Und klar hätte man gerne gewusst, wie sie den Rest bewältigt hätten, der ja meist daraus besteht, dieser frühen Befruchtung weitere Lebensräume zu ermöglichen. Denn natürlich liegt ein gewisser Glanz auf dem geleisteten Durchhalteakt, der einem irgendwann ermöglicht, zurück zu blicken. Oder man spürt zuweilen eine genussvolle Ermüdung des inneren Auges, das sich nun an die Auswahl halten kann, die es getroffen hat, was Geist und Bühne und Schauspiel betrifft. Und wenn wir (vielleicht) in der Lage sein werden, die in Kisten, Kästen und Regalen sich stapelnden Ansammlungen unserer  leidenschaftlichen Bemühung um das Verständnis des Weltenrätsels rechtzeitig loszulassen. Wenn uns klar wird, dass wir diese Inhalte nicht nur alle in uns haben, ja, wir diese Inhalte sind. Und unaufhaltsam immer Neues dazu kommt. Bis eben das Allerneueste da ist: wenn wir selbst nicht mehr da sind, dafür aber alle Anderen.

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