Kalender

Auf dem mir geschenkten Adventskalender einer Kaffeefirma (wenn schon, denn schon), habe ich natürlich erst heute das Türlein geöffnet, vielleicht nicht mehr ganz mit so erwartungsfreudiger Intensität wie in den ersten bewussten Adventstagen der Kindheit, wo glitzernde Engelsbengel ihre Scherze trieben undsoweiter, aber es war trotzdem spannend. Es gibt ja auch nicht wirklich einen grundsätzlichen Grund, sich unnötig in der Erinnerung des damaligen Kindlichseins aufzuhalten, außer man hat dort Arbeit zu verrichten beim Studium der Lupenhandhabung. So hatte ich selbst ein dunkel belichtetes Türlein auf meinem Schirm, da öffnete ich es und siehe, es war tatsächlich ich selbst, die sich im Bild erkannte. Nicht, dass das wirklich zeigte, wer ich war, aber dass ich es nicht war, konnte man, auch ich von mir selbst, nicht sagen, denn Leugnung wäre zwecklos. Übrigens war in dem Kalender im ersten Tag ein schön verpacktes Stückchen Schokolade, vermutlich mit Kaffeegeschmack. Wenn man den Inhalt herausnahm, war da auf einmal ein ziemlich geräumiges, leeres Gehäuse, wo man am liebsten gleich wieder etwas hineingegeben hätte. Schon sah ich mich im Geiste dabei, dem aufwendigen Behälter einen anderen Anstrich zu geben, um dann die Fächer mit Eigenprodukten zu füllen. An und für sich gar keine so schlechte Idee, nur zeitlich unpassend, denn da sind ja noch immerhin 23 Türen zu öffnen, auch wenn man denkt man wüsste schon so ungefähr, was dahinter steckt und was dabei herauskommt. Man weiß es aber nicht, sondern eben nur, wenn man das Türlein aufmacht und sich freut, dass da was Erfreuliches drin ist. Denn das macht ja den Adventskalender für Jung und Alt so angenehm, dass niemand befürchten muss, dass da etwas Bedrohliches herauskommt, das wäre ja infam und überhaupt nicht im Geiste eines Adventskalenders. Ich habe nie geglaubt, dass böse Menschen keine Lieder haben sollen, wie uns das mal jemand eintrichtern wollte, und ich kann mir z.B. Hutu, Tutsi, Boko Haram, die Mafia und die Taliban, um nur ein paar wenige zu nennen, kann ich sie mir also sehr wohl, wenn ich das tatsächlich wollte, beim Stammesgesang vorstellen. Aber einen Adventskalender täglich behutsam öffnen und mit der feinsten Freude, zu der man jeweils fähig ist, das Geschenk des Inhaltes in Empfang zu nehmen, das braucht eine gewisse Entschlossenheit, die aus einer vor sich hinreifenden Entscheidungfähigkeit gewonnen wird, ohne den Willen zum Staunen unterwegs zu verlieren. Auch weiß man ab heute, wenn man BesitzerIn eines Adventskalenders ist, dann weiß man ab heute genau, wie viele Tage es noch bis zu dem Tag, beziehungsweise d e r Nacht ist, die als die ’stille Nacht‘ in die Geschichte der Menschheit einging. Da entkommt keiner mehr heute, denn wir leben außerdem auch noch im digitalen Zeitalter, und verlorene Kulturen können sich gegenseitig beim Zelebrieren anderer verlorener Kulturen beobachten. Und wer auch immer keine Lust mehr darauf hat, leere Hülsen als voll erklärt zu bekommen, der oder die hat ja auch da wieder Optionen, und man kann nach dem Entnehmen der Süße die ganze Radikalität der Leere des Gehäuses zulassen: was wiederum die Möglichkeit erzeugt, erfrischt und heiter ein weiteres Türlein zu öffnen, das aber natürlich erst morgen.

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