spät (?)

Verzeiht mir (unbekannterweise), edle Butoh-Tänzer, dass ich euch einfach so aus dem Netz gegriffen habe, wegen den Masken, die man gerade noch sieht, aber ich konnte nicht widerstehen. Natürlich kann ich jederzeit empfehlen, in einem Winter-Corona-Zeitfenster zum Beispiel, sich die Truppe ‚Sankai Juku‘ anzusehen, wenn man unter diesen Umständen mal möchte, dass einem außer dem Virus etwas Kunstvolles und Fremdartiges den Atem raubt. Bei Freunden in der Großstadt konnten wir eine Pestmaske bewundern. Auf der Rückfahrt erinnerte ich mich daran mit der Frage, wieso der rote Schnabel so lang war und dachte, dass sich vielleicht Pestkranke damit auszeichnen mussten. Aber nein, der Arzt, belehrt mich Lord Google, trug die Maske, in deren Schnabel ein Nasenfutteral untergebracht war, in dem man Düfte und Mittel gegen die Pest legte. Es schien nicht viel geholfen zu haben und war ein Tummelplatz für Quacksalber. Was einem fast automatisch einfällt ist der sehenswerte Film ‚Tod in Venedig‘ von Visconti, wo ein besessen Verliebter den schönen Jüngling nicht aus den Augen lassen kann und als der endlich mit seiner Familie abreiste, war er schon erkrankt an der Pest, was einen natürlich in einem Film tief berühren kann, dass das irre Liebestreiben des Mannes ihn in den Tod führt, man versteht sowas ja. Nun haben wir ja keine Pest, sondern eine Corona-Pandemie, wo man auch in den Pausen nachdenken kann oder muss, wie ernst man das unheimliche Vorgehen denn nun tatsächlich nehmen muss oder will. Ich bin auch schon soweit, dass mir zuweilen die Zahlen der anderen Sterbenden, an Aids, Krebs, Diabetes undsoweiter, fehlen, um einen Vergleich zu haben, wo man sich praktisch eigentlich vorfindet. Wem lähmt das denn nicht die geistige Muskulatur, wenn man sehr einseitig besprochen wird mit Weltthemen, zu denen man quasi gezwungen wird, zumindest ein paar Minuten des Tages. Dann verfolge ich, und verfolgen ist hier das richtige Wort, den Countdown in Amerika, wo ja Trump und Corona mühelos zusammenfließen und das vorher Unvorstellbare millionenfach in den kollektiven Denkstrom hineingebastelt wird, sodass keiner mehr so richtig weiß, wer eigentlich für wen stundenlang vor den rar gewordenen Wahlurnen wartet, bis er oder sie drankommt, die große Wahl zu beeinflussen. Und abgesehen von den üblichen Wühlmäusen, die sich im Hintergrund um die Vernichtung der anderen Partei bemüht haben, geht es doch tatsächlich um einiges, das in unsere Häuser hineinwirken wird. Und immer wieder mal dachte ich an das Dritte Reich und wie ich mir niemals hätte vorstellen können, aus einer ziemlich friedvollen Oase heraus beobachten zu können, wie sich das Unvorstellbare gestaltet. Und wie lange es dauert, bis gerade dieser Mangel an Vorstellung zu einem Grad an Realitätsverständnis führt, dann erst zu dem dringend benötigten Widerstand, bevor es wirklich zu spät ist. Doch, es gibt ein ‚Zu spät‘, oder wie es einmal auf einem unserer Performance Broschüren  hieß auf der Rückseite (von Opus 8) : ‚This is a play, eternal, and nothing can be changed. Attention traveller, for it is late, yet it is not, not yet too late.‘ Also das ist ein ewiges Spiel und nichts kann geändert werden. Achtung, Reisende, denn es spät, doch es ist noch, noch nicht zu spät.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert