Geisterstunde

Vielleicht haben wir tatsächlich gerade einen globalen Ausnahmezustand, den es s o noch nie gab, obwohl es keinen einzigen Nu s o schon mal gab. Aber ein Planet, auf dem alle Einheimischen maskiert sind, jedenfalls sehr viele von ihnen, das dürfte eine neue Art von Geisterstunde sein, die man noch nicht kannte. Wann macht sich eine Geisterstunde bemerkbar, und durch was wird sie hervorgebracht. Angst kann ja auch kreative Ideen hervorbringen, vor allem, wenn man sie erkennt und sie energetisch einzusetzen vermag. Aber das Geisterhafte kommt wohl eher daher, dass die Verbindung zur eigenen Quelle verlorengeht und man für sich selbst nicht mehr anwesend ist. Man kann das sehr schön an Donald Trump beobachten, der alles Mögliche und Unmögliche zu seinen AnhängerInnen sagt, aber selbst nicht anwesend ist. Wenn auch in der Familie Anwesenheit als sich selbst nicht erwünscht war, fällt es nicht weiter auf, und der künstliche und selbstentfremdete Umgang mit dem, was da ist, wird zur Gewohnheit. Es gibt ja das Recht auf das Menschsein, aber nicht unbedingt auf das unbedingte Menschlichseinsrecht. Ein jüdischer Mann, der in Auschwitz die Aufgabe zugeteilt bekommen hatte, die vergasten Leichen aus der Schreckenskammer zu rechen, wurde gefragt, wie das geht. Er sagte, das ginge nur, wenn man seine Menschlichkeit wegschiebt ins nicht mehr Wirksame, eine Art krankhaftes Vergessenmüssen im Angesicht der wohl noch stärkeren Kraft, das ist die des Überlebenwollens. Man will überleben, sei der Preis noch so hoch, obwohl auch da eine Grenze zu erreichen ist, die man persönlich ausloten muss. Die Geisterstunde ist ein gespenstisches Vorgehen. Die Beteiligten verlieren fast unmerklich den Sinn für das Offensichtliche. Im Halbdunkel der Nacht entsteht eine geräumige Gerüchteküche, an der man sich Nahrung abholen kann, eine flüchtige Sinnhaftigkeit für das Nervenkostüm. Zum Beispiel sagt man, die Rehe schaden dem Wald, man muss sie erschießen. Aber nicht nur wird der Aufenthaltsraum der Rehe durch die Ausbreitung der Menschenhäuser immer kleiner, sondern da gibt es dann weniger Fressen, dann werden sie künstlich ernährt und vermehren sich stärker und nagen dann alle an den frischen Blattkeimlingen herum, weshalb sie dem Wald schaden. Selten gelingt es, dahin zurückzukehren, wo der Schaden begonnen hat, und meistens kann nur das Vergangene mit einem gewissen Abstand verstanden werden. Man sieht  ja nun an der Pandemie, dass sie schon auf der Schiene der Schadensbegrenzung läuft. Wir wurden ja nicht aus dem Paradies direkt in die Virenhölle gestoßen, nein, die Welt war und ist bereits angefüllt mit schwer zu lösenden Problemen, die immer wieder kurz den Kopf mit dem Hilfeschrei über Wasser halten, bevor der Schrecken wieder untergeht im Nichtmehrnachvollziehbaren. Jetzt kommen die Gesetze dazu, also wann darf ich was und wann dürfen oder nicht dürfen, wenn ich nicht auch noch was draufzahlen will. Das Fatale ist, dass die Maske ja auch schon vorher da war, nun hat sie ein Winterläppchen und dient gleichzeitig den Nahekommenden mit Abstand. Eigentlich wühlt in einem doch eher der Wunsch nach einer gründlichen Demaskierung. Aber wahrscheinlich ist dafür gar keine Zeit mehr, auch wenn man es online miteinander reflektieren könnte. So greift man wieder wie automatisch nach den uralten, sandbewehten Pfaden, und steht dort herum, vielleicht mit einem Stab in der Hand, und erfreut sich an der surrealen Schönheit des Erkennbaren. Schließlich gibt es auch das Gerücht, dies sei eine Kairos-Zeit. Das ist auch so etwas Ähnliches wie eine Geisterstunde, aber man kann es nicht wirklich vergleichen.

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