Ayesha Lecheyem Inam

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Die junge Frau auf dem Photo wird heute 21 Jahre alt. Am Tag, als sie geboren wurde, lief ich „zufällig“ auf der Straße der  indischen Kleinstadt, in der ich jedes Jahr ein paar Monate verbringe, als ich vor mir ein Bündel sah, das ich zuerst für ein mit einem Tuch bedecktes totes Tier hielt. Als ich genauer hinschaute, weil es sich zu bewegen schien, war es ein sehr winziges Kind, das, wir wissen nicht wirklich warum ausgerechnet an diesem Ort, offensichtlich von der Mutter ausgesetzt worden war. Ich brachte es zu einem naheliegenden Krankenhaus, wo  niemand etwas davon wissen wollte. Nach viel Bemühung fand ich heraus, dass die Mutter tatsächlich in einem privaten, kleinen Krankenhaus und  in einem abgelegenen Raum des Krankenhauses ein 7-Monate altes Mädchen geboren hatte, da die amtierende Ärztin, eine weise und erfahrene Frau, keine Abtreibungen befürwortete und bereit war, das unerwünschte Kind evtl. zu adoptieren. Die Mutter war erst 15 Jahre alt, war wohl in Panik mit dem Kind geflohen, aber wusste dann wohl nicht, wohin damit, da sie es nicht nach Hause mitnehmen konnte, weil der ganze Vorgang streng geheim war. Wie auch immer es gewesen sein mag, ich nahm sie dann zu mir und verbrachte die ersten sechs Monate ihres Lebens mit ihr. Die Ärztin wollte, dass ich ihr einen Namen gebe, und so machte ich so etwas wie eine Geburtsurkunde und nannte sie Ayesha „die Schönste“ Lecheyem „an das Leben“ und Inam „Geschenk“. Wir hatten eine wahrlich wundersame und wunderbare Zeit zusammen und sprechen auch heute noch die Sprache von damals miteinander….ein tiefes Schwingen von Zusammensein, eine nahtlose, vielgestaltige Welt, die mich in ein sehr großes Staunen führte, da ich zuvor niemals die Schönheit dieser seligen Zeit bewusst erfahren konnte. Selig wird sie durch inniges Zusammensein und eine tiefe Freude an gegenseitiger Resonanz. Wir fanden dann, da ich für Adoption keinerlei Karten hatte, eine Familie, die sie adoptiert hat. Das alles waren schwerwiegende Vorgänge, die dann doch letztendlich zu einem guten Gelingen führten. Wir lernten uns kennen und mussten uns irgendwann auch sprachlich aufeinander einstellen, mein Hindi wurde besser, ihr Englisch auch. Die Eltern ermöglichten mir freien Zugang zu ihr und schenkten mir Photos von den Geburtstagsfeiern. Nun ist sie eine 21-jährige Frau und wir telephonieren miteinander und schreiben Mails zueinander. Wenn ich in Indien bin, kommt sie jetzt auch alleine zu mir. Ich erfahre ihre Geheimnisse und sie vertraut mir, dass ich sie bei mir behalte. Obwohl ich nicht ihre leibliche Mutter bin und auch nie eine Mutterstelle vertreten wollte, schwingt zwischen uns immer noch dasselbe große Geheimnis unserer ersten Zeit miteinander: ich das kleine Wesen entzückt im Arm wiegend und ihr Leben verteidigend und schützend gegen alle Hindernisse und Kommentare, die um uns herum in Bewegung kamen, und rechts in der Hand mein Stift, mit dem ich auf 21 Seiten meine Erfahrungen auf Papier bringen konnte. Jetzt, da sie ihre ganze Geschichte kennt, werde ich diese Seiten mitnehmen und für sie übersetzen, denn damals hatte ich noch keinerlei Ahnung, wie sich das Ganze entwickeln würde. „Du bist als Diamant in mein Leben gekommen“, habe ich ihr heute geschrieben,“ und hast ein tiefes Licht in mein Leben gebracht“. Das Bild oben zeigt sie auf der Hochzeit einer Freundin, auf der wir letztes Jahr gemeinsam waren.

Auf der Suche nach der oben erwähnten „Geburtsurkunde“ fand ich das Kleid, in dem ich sie gefunden habe, und habe es an unsere Wäscheleine gehängt, um ein Bild davon zu machen:     20160921_114923

 


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