ackern

Dieses Bild kam heute früh aus Indien bei mir hereingeweht. Es löst  ein Gefühl von Vertrautheit aus, denn ein paar Jahrzehnte Indien haben vieles möglich gemacht. Es ist ja nicht nur, dass man das scheinbar absolut Fremdartige ans Herz nehmen kann, sondern genau durch diese Bewegung sieht man, so lange man kann, vor allem die schönen, ja wunderbaren Dinge. Indien zum Beispiel hat einigen von uns lange einen Raum eröffnet, in dem man zum Beispiel die Antike der eigenen Vorstellung nachempfinden konnte: die Gewänder, die Farben, die Zwiebeltürme, die Priester, wo man sich mal kurz als Priesterin dazu denken konnte, oder als wandernde Eremitin, beruflich  genauso forschend beäugt von den Patriarchen wie damals, als Diotima erfunden werden musste, um dem Wissen das Wesentliche beizufügen. Dann die Erotik des Göttlichen und die einen selbst überraschende Bereitschaft, sich dieser Anziehung zu nähern und mehr zu erfahren, als man sich vorstellen konnte. Daher weiß man dann, wie viel man sich vorstellen kann, und wie viele Ebenen und Seinswege es gibt. Überall Räucherwerk und Stäbe, Kapuzen und Geläute. Vorne draus die, die immer noch mehr wissen sollen müssen als die Anderen, damit der ganze Zirkus am Laufen gehalten werden kann. Dann die, die die unbezahlten Kreuze tragen dürfen, und die, die in den Tempeln in verschließbaren Truhen die Scheine sammeln, die die Gläubigen sich vom Mund abgespart haben. Der Priester, der mir das Bild geschickt hat, ist Familienmann und macht Tempeldienst in der Nähe des Platzes, an dem ich morgens dort ein bis zwei Stunden verbringe, auch schon Jahrzehnte. Er wurde von seiner Brahmanenkaste (es gibt im Dorf viele  verschiedene Brahmanenkasten) beordert, den Dienst zu übernehmen, weil der letzte Prieser die meisten Spenden in die Tasche gesteckt hat, bis es auffiel. Viele stehlen aus Verzweiflung, zuhause warten die Angehörigen. Früher konnte man gut leben von diesen Spenden, jetzt sterben solche Berufe aus an der Unseligkeit. Die westlichen und östlichen Missbrauchsfälle tun das Ihre. Es ist nicht immer klug, die Menge zu unterschätzen, denn wenn etwas wirklich klar geworden ist, kann diese Körperschaft auf einmal  ihre Macht entfalten durch schiere Anzahl. Auf einmal mutiert eine vorher manipulierbare Masse  in einen gut vernetzten  Aktionskörper. Es ist, wie wenn Kumbakarna, der schlafende Riese, erwacht und die Welt zum Beben bringt. Wer regiert nun die Welt, wenn man es wirklich wissen will. Oder: bin ich nun aus der Rippe des Mannes gebastelt, oder erschüttere ich meine eigenen Rippen mal ab und zu mit einem solchen Lachen, dass das Herzliche unversehens hinübergleitet ins Erschrockene. Und immer noch bemühen sich Heerscharen von geistig Angeregten um die Antworten auf die Fragen, die nie wirklich beantwortet wurden und vielleicht auch nicht beantwortet werden können. Denn wer soll entscheiden, was aus dem Menschen wird, entgleitet er doch immer wieder jeglicher Definition. Und ist doch nur Mensch, wenn er Mensch ist, so, als wüssten eigentlich doch alle von diesem verborgenen Geheimnis, das keiner verstecken oder verbergen muss, nein, das im Sein verharrt, bis es aktiviert wird, oder auch nicht. Wie auch immer das Dasein jeweils verstanden und gelebt wird, so kann offensichlich sein, was man für möglich hält, und nicht sein, was dem eigenen Seinsfeld nicht entspricht. Das ist die ganze Herausforderung. Wer ackert das Feld und sät die gewünschten Samen.

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