Purnima/Vollmond

 

So, das ist jetzt ein kleiner Einblick in die letzten Stunden des Baderausches, bevor um 11 Uhr 09 der ganze Zauber vorbei ist und der Vollmond ausgeschöpft. Man fragt sich natürlich, warum bei diesem tausendfüßigen Andrang in der Mitte des Beckens keiner badet. Ganz einfach, weil die meisten Inder (vor allem Frauen) nicht schwimmen können und sich an den angebrachten Ketten festhalten. Auch wenn ich in meinem kleinen Palazzo in der Mitte des gigantischen Getümmels in aller Ruhe meinen Kaffee trinken kann, bleibt mir ein Gefühlsbad nicht erspart. Die ganze Nacht hindurch hat eine laute Glocke an der naheliegenden Treppe zum Wasser ununterbrochen gebimmelt, denn jeder Pilger signalisiert hiermit sein Dasein. Hallo, ich bin hier. Eine schöne Idee für jeden Haushalt, damit ein Gefühl für das eigene Dasein entsteht. Etwas in mir hält Ausschau nach dem Fleck in mir, wo ich meinen Humor vermute, der sich bedeckt hält. Ich denke an Mekka und wie glücklich Shafi, ein alter Freund, war, als er es endlich geschafft hatte, sich und seine Frau auf den Haddsch zu machen und sich in die Millionen Glückseligen einzureihen, die die Kaaba umkreisen dürfen. Den Wunsch, die Religionen mögen Simsalabim vom Erdboden verschwinden und Raum machen für weitere Entwicklungen des Menschseins, kann man im Dialog mit sich selbst nur als kindlich bezeichnen. Das Wasser, in dem die Pilger hier vor meinem Fenster baden, soll ursprünglich mal einen leprösen König schlagartig geheilt haben. Auch als ich einst im Dorf ankam, war das Wasser noch klar und voller Algen und Fischen und Schildkröten, und der Monsoon überschwemmte die Brücken. Aber egal, wie weit es noch kommen wird, so wird alles getan werden von den Verantwortlichen, um vor allem für diese paar Tage genug Wasser zu besorgen, damit alles so weitergehen kann, wie es immer war. Da muss die Not schon sehr groß werden, bis das zu einer Akzeptanz der realen Vorgänge führt, das kennt man doch von sich selbst und erinnert mich an einen Satz meiner früheren Yogapraxis, und zwar „Stirb, bevor du stirbst“, und meint, wach auf aus dem traumähnlichen Schlaf und sieh, wie es wirklich ist, und das, bevor die kurze Zeit rum ist. Ich sehe an der Seinsweise der Hindus, dass sie sich in den Ritualen bestens auskennen. Aber in den Familien, zu denen ich Zugang habe, sehe ich nicht, dass sie sich miteinander gut auskennen. Sie ertragen ihre gegenseitige Fremdheit mit Gedanken, die keiner kennt, am wenigsten sie selbst. What to do. In den Prophezeiungen dieser dunklen Zeit (eisernes Zeitalter!) gibt es natürlich wie in jedem Märchen einen Lichtblick, ein Gold, dass man durch seine oder ihre Augen fließen lassen kann, sehr aufwendig auf Hindi, „jaagarookata“, Bewusstsein. Eine frühere Mediationslehrerin sagte mal, Bewusstsein sei auch nicht der letzte Schritt, weil da noch „Wissen“ enthalten ist. Happy Purnima, I said to myself, denn mein Humor (verlässlich wie stets) hat mir gerade noch im angemessenen Moment geholfen, die Kurve nicht zu verpassen.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert