nah

Wer hätte gedacht, dass ‚Nähe‘ einmal so präzise definiert werden muss. Was ist nah, und wodurch wird es, was es ist? Wenn ich in Indien meinen Unwillen über finanziell kalkulierte, arrangierte Hochzeiten ausdrücke, geht es bei den GestalterInnen dieser Zusammenbringungen nie öffentlich um das, was nicht nur alle wissen, sondern die meisten auch selbst erfahren haben, nämlich dass ein Fremder über eine Fremde herfällt, die danach schweigen muss, was man als weibliche Tugend deklariert hat. Nicht nur in Indien. Man kann von Männern als dazu erzogene Welterklärer des Universums nicht erwarten, dass das Privileg der Welterklärung freiwillig aufgegeben wird. Auch die Frauen fehlen noch, wenn es um das Ausmaß dieser Tatsache geht, deswegen ist auch die MeToo-Debatte ein wichtiger Pfeiler gewesen, auch wenn, wie in allen Revolutionen, so einiges in die Schieflage gerät. Muss ja, wenn alles, was in diesem verfügbaren Rahmen gesagt werden kann, gesagt wurde und, wie man aus eigenen Gesprächen kennt, das Pauschale nicht weiterhilft. Weiter hilft wie immer die Befragung an sich selbst, und die damit verbundene Erkenntnis, wie schwer es tatsächlich ist, durch die Komplexitäten der dargebotenen Dramen zu dringen und zu sehen, wo Distanz zu den „tausend Dingen“ angesagt ist, und wo das eigene System Nähe für möglich hält. Auch kann wirkliche Nähe vermutlich nur entstehen, wenn Ahnung und Erfahrung zugelassen wurden über das Potential menschlichen Vernichtungswillens. Nun ist man genötigt, Stellung zu beziehen und sich zu positionieren. Welche Nähe tut mir gut, und welche nicht. Und warum. In welcher Nähe fühle ich mich so, dass  ich mich als eine Weite empfinde, die einem Gegenüber furchtlos zu begegnen vermag und dem Anderen dasselbe ermögliche. Wo bin ich sicher vor Vernichtung. Und wo nicht. Wenn Frauen sich für etwas einsetzen, was sie für wesentlich halten, müssen sie oft noch den Ton finden, der ihnen nicht zugestanden wurde. Für ein menschliches Objekt, dass die Wahrnehmung Anderer von sich nicht kennt, ist es schwer, Wahrnehmung von sich selbst zu haben. Auf dieser Ebene ist die Welt ein Irrenhaus, das man gerne eine Heilanstalt nennen würde, wüsste man nicht, was dort in den Anstalten alles läuft. Von dem, was man nicht weiß, wird man auch manchmal gerne verschont. Auch gibt es genug beunruhigende Kundgebungen, die einen dazu verleiten können, den Menschen als etwas zu denken, von dem man sich fernhalten sollte. Nun ist es aber auch so, dass Nähe und Freiheit und Liebe etc, also das Wünschenswerte, einerseits nur stattfinden kann in einem Raum, der sich entlang der Widerstände geschult hat, es aber andrerseits im Individuum selbst einen Kern gibt, um den ein tiefster der vorhandenen Werte kreist: die ureigene innere Sicht dessen, was einem an menschlichem Sein für möglich erscheint, und das Erstrebenswerte, nämlich die Umsetzung der Sicht in das Verhalten, sich als ein Gelingen entfaltet, das gleichermaßen anregend wie aufregend ist.

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