klagen

In uns Menschen liegt, irgendwo in den inneren Korridoren, die Neigung zu klagen. Das mäßige und müßige Klagen hat etwas für Andere Ermüdendes oder Langweiliges, wenn an der Wurzel der Klage keine Klarheit über das Beklagte herrscht. Die Möglichkeit der Klage wird gerne dem eigenen Schicksal gegenüber in Anspruch genommen, oh oh, warum gerade ich (und nicht der Andere), und warum s o und nicht anders. Es ist die Klage über das Unwesen des Aufgetauchten, als könnte es anders sein, wie es ist, denn das ist ja die Eigenart meines Schicksals, dass es ist, wie es ist, weil ich bin, wie ich bin. Gut, über die Anfänge kann und muss man zuweilen streiten, zumindest, um zu ergründen, wie ich es sehe gemäß meiner momentanen Erkenntniskraft, die ja auch oft geprägt ist von konventionellen Einflüsterungen, oder auch von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, die meist genauso schwankend im geistigen Raum schweben wie alles andere, bevor sie für schulbuchfähig deklariert werden. Ich persönlich habe nichts gegen Klagen, wenn ich sie für angebracht halte. Man irrt sich oft genug, lernt dabei aber die Differenzierungen im eigenen Klagensbereich. Wenn es keine Klagen gäbe, gäbe es keine Wahrnehmung von Störungen, es gäbe auch keine Geschichten, keine Epen, keine Heldentaten. Dem Held und der Heldin traut man die Bewältigung des Schicksals zu, ja!, man will, dass sie Vorbild sind, so, wie man weiterhin Vorbild wollte und will von Jesus oder Buddha undsoweiter. Man weiß, da war ein Mensch unterwegs, der sich nicht nur um das eigene, sondern auch um das Schicksal von Anderen kümmern konnte. Das sind nun wiederum die großen Klagenden: sie beklagen das Ungemach des Menschseins, seine inhärente Blindheit und Verbohrtheit, den lustvollen Trieb menschlicher Wesen zur Unterwerfung unter die simpelsten Darbietungen, die sich reichlich an den Klagen über das alltäglich Vorgefundene bedienen, so als wäre das Selbstgeformte verantwortlich für den Missklang. Und allerdings, so ist es. Deswegen liebt man lange Zeit die Heldengeschichten, weil da mächtig um erkannte Werte gekämpft wird und dann wird meist auch großartig gescheitert. Es gibt Berufe, aus denen heraus pflichtmäßig geklagt werden muss. Je tiefer die Annahme des eigenen Schicksals, desto glaubwürdiger und hörenswürdiger die Klagen. Eine gute Klage braucht Resonanz, um in ihre Wirksamkeit zu kommen. Die Brahmanen in Indien zum Beispiel sind berüchtigt für ihre Klagen, und es gibt Bettler, die mit größerer Würde mit ihrer ausweglosen Situation umgehen können. Stimmt, dann gibt es die Klagemauer. Einem jüdischen Freund habe ich mal geraten, sich eine kleine Klagemauer anfertigen zu lassen, damit die Klagen wenigstens in dieser Hinsicht untermauert werden können. Dem sinnlos Klagenden verweichlicht oft schnell die Haut. Wenn nicht einmal ein Echo sich mehr um Antwort bemüht und die Pläne ins Nichts zerfallen. Klagen will wie alles gelernt sein. Kann man es gut und der Ton trifft das dunkle Geschehen ins blutende Herz, dann weiß man zumindest, dass man man beim eigenen Schicksal angekommen ist, und das ist auch nur einer der Wege, die begehbar sind: der Weg über die Klage. Trefflich wäre es, die Klage zu singen, oh ihr (oder wir) Menschen, nur zu läutern durch die tropfende Blutspur im kalten Haus des Bekriegens, ach ach, o weh, o jemineh!  Wir aus dem Paradies Geflogenen und nun auf die nackte Wahrheit Treffenden: war nicht immer (auch) Paradies?

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