kulturell

Ich war und bin immer noch dankbar, dass ich mich einmal vollständig auf eine Kultur einlassen konnte, auch wenn es nicht meine eigene war. Das mag einen simplen Grund darin haben, dass ich noch ein Kind einer der schwärzesten Nacht der Menschheit bin und ich keinen Anlass finden konnte, dort einen Gott am Wirken zu sehen. Nicht dass ich je von ihm verlangt hätte, mir angemessen vorkommende Veränderungen hervorzurufen, das wäre ja schon ein Dialog gewesen, wenn auch nur mit sich selbst und einer religiös geprägten Allmachtsvorstellung, der man die Handlungen getrost überlassen kann. Kein Trost! Eher eine finstre Dunkelkammer, wo man froh ist, noch ein Streichholz extra zu haben. Im Menschen interessiert doch, zu was er alles fähig ist. Sicherlich gibt es auch einen begabten Mörder, in Krimis ist er beliebt: je intelligenter, desto interessanter. Wie kommt es dazu, dass einer zum Kain wird, schon gepeinigt von den eigenen Anlagen. Jedenfalls stand ich eines Tages irgendwo in Indien herum und spürte eine wohlige Wärme auf meiner Schulter. Es war die Sonne! Die indische Sonne hat mir gut getan. Noch besaß ich einen Stab mit einem herrlichen Totenkopf, geschnitzt aus einem Rhinozerushorn, und zuerst zog es mich noch zu den Totenplätzen, auch wenn der „unsre“ im Dorf elegant ausgestattet ist. An den Verbrennungsplätzen wohnen oft Sadhus, die automatisch zu einem linken Pfad zugeordnet werden, aber ich traf dort viel Stille und Freundlichkeit. Auch die Liebe zur Asche ist dort geboren, da trafen sich, wenn ich es recht bedenke, meine beiden Kulturen ganz gut: am Verbrennungsplatz mit dem Reichtum der Asche. Auch die Asche ist ein guter Geburtsort für die Liebe, hauptsächlich, die Liebe geht unterwegs nicht verloren. An meinem Arbeitsort, dem offiziellen Feuer, konnte ich oft erleben, wie ein Hauch von Glut durch ein winziges Fädchen der Kokosnussschale wieder zu vollem Leben erweckt werden konnte. Wäre das Feuer ganz ausgegangen, wäre meine Karriere als schaltende und waltende Eremitin in eigener Choreographie beendet gewesen. Ohne die Unterstützung der Bruderschaft wäre auch da nichts gelaufen. Aber es wurde bald klar, dass ich interessiert war an den Dingen: die souveräne Beziehung zu erotischen Götterwesen, die man in gewissen hellen Momenten als Zugänge zu abstrakten Formeln wahrnehmen konnte, wo immer die Zuneigung, ja, die Liebe. wenn auch nur durch das Unvorstellbare, das Unfassbare, wo immer die Liebe der Code war zum Zugang des Seins, und des Eins-Seins, und des Damit-Eins-Seins. Das macht die Dinge sehr einfach, denn es gibt kein Zurück. Habe ich das Zurück einmal loslassen können, wie auch immer mir das gelungen ist jeweils, dann beginnt die Navigationsschulung. Mit der Steuerung kann ich jetzt rückwärts (was eher selten vonnöten ist), ich kann vorwärts, wenn mein Kompass eine gute Richtung anzeigt, oder ich kann Anker werfen und lernen, wie es als Mensch unter Menschen so ist. Von meinen langen Aufenthalten in Indien habe ich auch das Staunen mitgebracht und das Konzept des Spiels. Auch ist klar geworden, dass man außer den zwei sichtbaren Augen noch ein drittes gut gebrauchen kann, da man mit den zwei verfügbaren Augen einen eher eingeschränkten Blickwinkel hat. Das dritte Auge habe ich in Indien mal dargestellt gesehen als ein Auge, das sich, zwar verbunden mit der Stirn, aber doch herausbewegen kann, um innen und außen gleichermassen einen Ausblick oder Innenblick zu haben. Letztendlich hat es die gleiche Gültigkeit, in welcher Kultur ich mich aufhalte, da da, wo ich bzw wir uns aufhalten, das Richtungsweisende immer die Beziehungen zu den Menschen sind. Jeder Mensch eine eigene Kultur, ja, bis hin zur Erkenntnis, dass es vermutlich doch nur eine  einzige gibt.

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