versichern

 
Mir kommt es irgendwie absurd vor, dass gerade in einer Gesellschaft, wo es eigentlich den meisten ziemlich gut geht, Versicherungen aller Art eine heimliche, unmäßige Rolle spielen. Verständlich, dass das Erworbene abgesichert sein möchte und soll, und ich bin auch froh, dass unser Haus versichert ist, denn in der Tat können immer ungeahnte Stürme übers Land fegen, und das beruhigt und beschäftigt einen ja nicht täglich. Und ja, gut, eine Krankenversicherung, das musste ich dann doch, wenn auch spät, einsehen. Ich bin aber zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, in eine Lebensversicherung einzuzahlen. Mein Leben versichern? Ach so? Wie soll das denn gehen, und wer erkühnt sich hier, dafür eine Verantwortung anzubieten!? Der Auslöser für diese Gedanken war, dass ich gehört habe, es gäbe eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung, in die man schon ganz jung einzahlen sollte, sagte die Expertenfrau. Das wäre zwar was teuer, aber aber…was aber? Ja, sagte sie, wenn man dann irgendwann mal arbeitsunfähig geworden sein würde, was ja passieren könnte, dann hat man sie, obwohl, sagte sie, das auch sehr kompliziert sei und von allem Möglichen abhängig, für das man dann in dieser eh schon tristen Situation die üblichen Ämter abklappern muss, ob man dafür überhaupt in Frage kommt. Das Absurde hat Methode. Es wird einem eingeflößt bald nach der Muttermilch, dass was Unsägliches passieren kann, jaja, da sollte man rechtzeitig vorsorgen. Vor-sorgen, auch so ein schwächelndes Wort, das mit dem Zeigefinger in vorgefertigte Wege weist: Ja, du auch, du wirst schon sehen, wenn du nicht vorher schon Sorge trägst, bevor irgendwas kommt, das dich daran erinnern wird, dass du was nicht richtig gemacht hast, nämlich vorgesorgt. Aus der Schufterei der Vorsorge entstehen dann Erb (sünden, hätte ich beinahe gesagt), nein, Erbschaften, die ganz schnell unglücklich verlaufen können, weil hier in einem Volk schon Millionen derart vorversorgt sind, dass sie gar nicht mehr zu selbstbestimmtem Denken kommen. Nicht, dass jeder so ein Denken möchten müsste, aber es wird auch durch Versichertes leicht verhindert. Mir geht’s ja oft um Wurzeln und Hintergründe, und nicht wegen Lösungsorientierung, sondern es fasziniert mich, wie oft das Absurde als normal deklariert wird, sodass die berühmte „Menge“ Menschen gar nicht angeregt wird, mal genauer hin zu schauen, was da eigentlich mit ihnen gemacht wird. Ein Leben kann man nicht versichern, denn egal, wie man es lebt, es bleibt im besten Fall ein Abenteuer im Ungewissen. Genau dieses Ungewisse, was immer da ist, macht es möglich, den Menschen alles, was sie dagegen tun können, zu suggerieren, und damit Kohle zu scheffeln. Wie, du kannst nicht gut schlafen? Nimm doch Rexodron (erfunden), das wirkt rasch und lässt dich entspannt an den Meeren der großen Welt wandern, sagt etwa das Bild der lockeren Frau an einem Strand, den es nirgendwo mehr gibt: leer und sauber. Die Arbeitsunfähigkeitsexpertin wies noch darauf hin, dass drei von sechs arbeitenden Frauen vor allem wegen Depressionen frühzeitig arbeitsunfähig werden, da ist es schon ratsam, dass man, am besten als Kleinkind, eine Versicherung abschließt. Wenn es da nun einen riesigen Vorhang gäbe, den man lüften könnte, um dahinter zu schauen, dann würde man ein erschreckendes Zittern und Zaudern und Zagen vorfinden, das mit geisterhafter Macht die versicherten Wesen verbindet, denn da herrscht die totale Verunsicherung. Menschen werden krank von dem, was sie erschaffen haben, denn Versicherung hat nicht nur die Kraft, zu beruhigen, sondern sie ist ein nagender Zahn am eh Vergänglichen und Unabwendbaren. Und was, wenn es gar nicht kommt, das Erwartete!? Dann fühlt man sich betrogen wegen dem Preis, der daran hing. Vielleicht hat Indien ein paar Jahre dafür gedient, dass die, die das Ungewisse gelockt hat und die es haben aushalten können, dort lernen konnten, wie das geht. Ich erinnere mich an ein Ehepaar aus Deutschland, das auf der Suche nach der Tochter im Dorf ankam und ich zufällig mit ihnen ins Gespräch kam. Fassungslos fragten sie mich, wie das zu erklären sei, dass ihre Tochter zuhause alles habe, und nun sitzt sie auf dem Boden und übt das Chapati-Machen auf einem Lehmherd und behauptet, das mache sie glücklich. Die meisten von uns gehen ja dann wieder zurück in ihr Land, denn man schätzt seinen Pass und macht gern auch Anderes als das Überleben in einer grandiosen Anarchie. Aber man hat auch was Bleibendes verstanden vom Leben und von dem, was auch möglich ist. Zum Beispiel das Zutrauen in die eigene Wahrnehmung, ohne dass sie immer wieder dadurch ins Wanken gerät, dass man Anderen überlässt zu wissen, was für einen selbst gut ist. Weiß man das aber einmal, kann man sich auch Anderen wieder aufmerksam zuwenden.

 

Das Bild ist von Magritte


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