Goldgrube

Morgens kam ich zum Frühstück hinunter und entdeckte schon beim Hinausgehen, dass ich mein Kleid seitenverkehrt anhatte, also mit den Nähten nach außen, an der Seite ein kleines Nahtfähnchen hängend: das Etikett (100% cotton-Made in India). Als Marktlücken-Expertin weiß ich Marktlückenblitze zu schätzen, und wer will nicht mal eine Goldgrube erschließen. Ich fand in großen Zeitabständen  den Gedanken unterhaltend, eine Idee in die Welt zu setzen und zu beobachten, wie sie sich entwickelt und was aus ihr wird. Es muss eine harmlose Idee sein, die wenig Missbrauchspotential bietet, aber sich trotzdem durchsetzen kann. Ich nehme also die Idee mit der Naht. Wie, sie tragen ihre Nähte noch innen? Und was wird dann mit den neuen goldenen Flügeln, die nun an der Stelle der Etikette herauswinken!? Man trägt sie doch jetzt außen! Ich weiß, Sie kommen nicht alle nach Indien, wo schon der größte Teil der Bevölkerung das Nahtlose hinter sich gelassen hat. Nahtlos ist Geschichte! Planetarier tragen jetzt Naht. Alles ist natürlich schon da, aber die Nahttragung, die hier angepriesen wird, ist nicht irgendeine Naht, sondern nach den Tätowierungsträgern, die ja nun auch auf der eigenen Haut eine Grenze entdecken mussten, und den teuer zerschlissenen Bluejeans kommt anstelle des großen Gähnens nun das große Nahttragen. Niemand muss mehr aus den Nähten platzen, denn die Nähte sind ja jetzt sichtbar und dehnbar. Es ist dir doch wichtig, nicht? Ich als Ideen-Hineinputterin muss jetzt Ausschau halten nach ein paar Leuten, die Twitter-oder Facebook-oder Instagram Accounts haben und die ich begeistern kann, an der Nahttragrevolution mitzuwirken. Es müsste, um möglichst viele zu erreichen, eine globale Message sein wie „Menschen zeigen wieder Naht! Oder „Die Welt bejaht Naht! Oder noch kühner: „Das Nahtlose kann nur erreicht werden, wenn die Naht sichtbar wird“. Oder: „Sei auf Draht mit Naht!“ Da setzt man schon voraus, dass Kunde und Kundin wissen, dass Nähte nur noch außen getragen werden. Aber hier geht es ja vor allem um die Idee. Ein spielerischer Gedanke, der ohne Kundschaft leben kann. Nur so ein kurzer Funkel-Nu durch die Vorstellung, wie aus einem frühmorgendlichen Aufmerksamkeitsfehler eine Bewegung werden könnte, die zuletzt, wenn durchlebt und durchschaut, zu einer Gegenbewegung führen würden könnte, nämlich dem Suchen und dem Finden der verlorenen Nahtlosigkeit, in vielen guten Kolumnen herauskristallisert als philosophisches Gut. Gut wäre natürlich auch, eine Art Role-Model einzuführen, vielleicht mit einer mysteriös aufgetauchten Kurzbiografie über „Katharina die Nahtlose“, oder einem  Hinweis auf einen der üblichen historischen Schreibfehler, die aus einer Gruppe von Eremiten in Indien, die einst die Nahts hießen (verbindliche Nahtfähigkeit), Naths machte, was „Herren“ heißt. Denn immer schon war es das Nahtlose, das die Naht braucht und selbst naht, um zu sein. Na bitte. Die Idee ist übrigens kostenlos. Ich brauche ja immer wieder Frei-Raum, damit sich was melden kann.

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