Freud (sich)

Die junge Frau auf dem Bild heißt Kaja und ist gerade bei uns zu Besuch. Sie ist achtzehn Jahre alt und will Psychologin werden und wird es wahrscheinlich auch, wenn die Leidenschaft für Tiefe und Komplexität und das Ergründen seelischer Zustände sich durch alle noch zu bestehenden Mühen hindurch vertiefen und erhalten kann. In Hinblick auf jetzt lebende Jugendliche verfalle ich selten in bestehende Klischeesätze wie „ich muss mal schauen, wie „die“ ticken. Sicherlich gibt es ein generationsmäßig anders gelagertes Ticken als das  „Ticken“ in der eigenen Jugendzeit. Dann die erkennbare Mode, die sich in allen Ländern durchsetzt: die zerschlissenen Bluejeans, die Rastahaare, die Tätowierungen usw. Man könnte tatsächlich denken, alle Jugendlichen sind von denselben modischen Erscheinungen betroffen, aber es erfreut einen ja stets, wenn man die Gelegenheit hat, etwas differenzierter sehen zu können. So ist diese Generation tatsächlich auch eine der ersten, deren Eltern nicht mehr vom Kriegsgeschehen so betroffen sind, wie es die Großeltern noch waren, obwohl es nie wirklich klar ist, wie lange die Spuren eines Krieges noch nachwirken. In Kaja sehe ich die ungeheure Aufgabe heranreifen, so früh schon die Verantwortung für die eigene Freiheit übernehmen zu müssen und zu wollen, wenn das erstrebenswert erscheint für sie, denn es scheint in der Tat ja so, als seien alle Türen offen, und keine massiven gesellschaftlichen Blockaden stehen der persönlichen Freiheit im Weg. Auch wenn mich die Eltern in meinen Plänen unterstützen, so muss ich doch entscheiden, wie dieser Weg zu gestalten ist. Es ist ja erst ein langes Menschenleben her, dass vor allem für Töchter diese Art der Freiheit nahezu unerschwinglich war. Vieles ist heute noch unerschwinglich. Letzte, patriarchale Strukturen schleppen sich immer noch mühsam durch alle Studiengänge hindurch, und es ist bereits Allgemeinwissen, dass eine Frau, die sich irgendwo durchsetzt in den Männerwelten, nicht nur mehr leisten muss, sondern immer noch schlechter bezahlt wird. Das nur nebenher, es muss sich ja nicht bestätigen, sondern kommt darauf an, wie das „Spiel“ selbst gespielt wird. Es beruhigt meinen Geist, dass die Kernfragen der Menschheit unverrückbar im Ungewissen plaziert zur Verfügung stehen. So wie man von jeder/m neugeborenen Poet/en/in erwartet, dass sie oder er sich mal zu Gott und der Welt und der Liebe und dem Tod äußert, so erwartet man von einem an Bewusstsein interessierten und zu geistigem Wachsein befähigten Neuankömmling im Garten reflektierender Geister, dass die Frage „wer bin ich“ eher ein passionierte Grübeln hervorlockt als ein abwehrendes Gähnen. Da Kaja z.B. dieses tiefe Interesse am Sein auf dieser Erdkugel in sich birgt und hervorbringt und ausdrückt, gibt es hier zwischen uns einen sehr schönen Draht, der das unterschiedliche Alter nicht ausgrenzen muss, aber auch dadurch nicht getrennt wird. Wir ticken d a gleich, wo uns das Wesen und das Angebot der Zeit gleichermaßen berühren, sie mit schwungvollem Aufstieg, ich mit schwungvollem Blick auf einen (auch für sie) jederzeit möglichen Abgang und den durchlaufenen Erfahrungen. Wobei, wie ich feststelle, der Grad des Wachseins sich nicht unbedingt vermindert, bleibt man dem, was einem als „Wesentliches“ erscheint, verbunden.
Diese Gedanken wurden inspiriert durch das T-Shirt. In Indien habe ich mich mal eine Zeitlang für T-Shirts interessiert wegen der verblüffenden Feststellung, dass die meisten T-Shirtträger/innen nicht wissen, was auf ihren Shirts steht und mit den wahrlich irrsten Sprüchen Reklame laufen. Daher heute eine freudige Abwechslung mit „Sigmund freud sich“ auf dem Shirt einer angehenden Psychologin. Und Sigmund, manchmal bei einem psychologischen Bankett zur Rechten Gottes thronend, freud sich bestimmt über das gute Bild mit der Zigarre und dem baumelnden Shiva, hier als Yogi,  über seiner Stirn, und auf dem Tuch von Kaja’s  Turban sind die unsterblichen Namen von „Sita und Ram“ als Einheit (Sitaram) gedruckt, die beiden Hauptdarsteller im ältesten und hochgeschätzten indischen Epos. So fließen die gutgemeinten Dinge zusammen und stören sich nicht. Und was wäre die westliche Welt auch geworden ohne die durchgeackerte Psyche des Meisters, auch wenn er sich oft, wie alle nach ihm, an manchen Stellen gravierend geirrt hat. Und was was wäre Indien ohne Sita und Ram: unvorstellbar!

 


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