Ob unterwegs als Nicht-Christin oder als Nicht-Hindu, so bekomme ich doch mit, wenn in beiden Welten etwas besonders Heiliges im Gange ist. Wenn ich Hindus direkt befrage, zB „wann ist es denn nun genau“, erhalte ich meist vage Antworten, denn alle werden langsam aber sicher durch Andere informiert über das Näherkommende, oft auch kurz bevor die entsprechenden Gänge dafür geleistet werden müssen. So auch hier. Ach, schon wieder Ostern, sagt da jemand, oder ich will kurz im Aldi einen Bio-Mozarella holen und stehe etwas länger als geplant vor derart überladenen Einkaufswägen, die signalisieren, dass wegen der nahenden Feiertage gefürchtet wird, man könne unversehens aus Mangel an Esswaren verhungern. Es kommt dann auch vor, dass ich etwas genauer wissen will, diesmal war es über das „Grün“ im Donnerstag, was das Dargebotene eigentlich bedeutet. Es ist ja einfach. Man drückt ein paar Tasten und schon wird man wissensbetäubt. Ich erfahre also, dass niemand weiß, woher das Grün kommt. Es wird aber einiges vermutet und zu verschiedenen Zeiten dies und jenes eingeführt, was vorher nicht da war, und so entsteht summa summarum auch am Gründonnerstag eine gewaltige Gelegenheit, an Großem und farbig Kostümiertem teilzunehmen. Warum allerdings gleichzeitig mit dem nahenden Grauen der Tat gegen den Schuldlosen überall Osterhasen und Eier zu suchen und zu finden sind, habe ich nie wirklich verstanden, es kommt einem auf jeden Fall nicht trennbar vor. Auf jeden Fall bringt es in die vorgeschriebene Trauer etwas Frohsinn. Ja, und abends wird es dann ja schon ziemlich düster. Was haben sich Künstler seither abgearbeitet an diesem Abend-Event! Wo wohl dieser große Tisch herkam, an dem sie alle saßen, die 12 Männer mit dem Auserwählten? Oder hat diesen ersten Stammtisch der christlichen Welt auch der Künstler erfunden, weil es ihm edler oder leichter darzustellen erschien, als alle auf dem Boden herumlagernd zu malen ? Und obwohl der heilige Sohn schon einiges Wunderbare geleistet hatte, kann man sich ja auch damals eine Atmosphäre des menschlichen bzw männlichen Zusammenhalts ohne inneres Konkurrenztoben kaum vorstellen. Weiß man bzw ich eigentlich, wo sich Maria und die andere Maria zu der Zeit aufhielten? Oft sieht man auf dem Tisch ja einen Weinkrug, der vielleicht gefüllt werden musste? Auf jeden Fall kann die Atmosphäre nicht besonders heiter gewesen sein, denn der hohe Sohn des Vaters wusste ja bereits, dass bald ein Hahn 3x krähen würde, und er von einem der Männer verraten. Es ist schwer für Menschen, sicher zu wissen, dass ein andrer Mensch der Sohn Gottes ist. In Indien in meinem Dorf gibt es die von Polizei und hohen Sandsäcken geschützte Halle einer jüdischen Glaubensgruppe, deren auferstandener Messias schon vor ein paar Jahren kam und in Brooklyn lebte, dann auf verhältnismäßig normalem Weg verstarb. So kann es einem auch im Hinduismus ergehen: auf der einen Seite des Glaubens sitzt Shiva immer noch mit Parvati/Kali/Uma/etc. auf einem Berg und führt mit der Facettenreichen tiefe Gespräche, auf der anderen Seite des angeblichen Wissens ist er nur ein winziger Punkt außerhalb des Weltalls (Oder auch drin?). Viele Menschen möchten sehr gerne viele Feiertage haben, egal, was da los ist, damit sie mal ausschlafen und durchatmen können und die Kinder zu den neuen Videospielen schicken. Das ist natürlich nur bei uns hier möglich, weil es an christlichen Sonn-und Feiertagen draußen so entmenschlicht wirkt durch die Totenstille der traumatisch blockierten Konsumgesellschaft, dass man sich in der Familie gerne auch mal umschauen kann. In Indien kann auch sonn-und feiertags eingekauft werden, niemand kümmert sich drum, wer auf und wer zu hat. Meist haben alle auf, schon weil sie es zuhause nicht aushalten. Was soll man denn da ohne Arbeit machen? Die, die wissen, was sie an solchen Feiertagen machen, sind geübt darin. So einen gelungenen Karfreitag hinzulegen stelle ich mir für Christen gar nicht so einfach vor. Ausschlafen oder trauern? Und wie und um wen trauern? Es passiert ja erst morgen, dass alles noch viel schlimmer wird. Der Hahn kräht erst morgen. Morgen ist auch noch ein Tag. Heute ist Vollversammlung am Tisch. Brot und Wein. Judas geht noch davon aus, dass seine Performance ihm keinen persönlichen Schaden anrichten wird.
- Bild: Tanz der Toten“, Passionsspiel am Gründonnerstag in Verges in Spanien