Eisenbahn

Aufstehen um 4 Uhr in Shivanis Haus. Zum Abreisen gehören die Bewegungsmittel. Kommt der Taxifahrer pünktlich!? Nein, kommt er nicht, er muss telefonisch geweckt und erinnert werden. Dann rast er mit mir und dem Gepäck mit kaum sichtbaren Scheinwerfern durch die noch dunkle Gegend. Ich bin eh schon leicht nervös, denn jetzt kommen einige Leistungsanforderungen auf mich zu. Ich verbinde die Nervosität mit der Tatsache, dass ich vor zwei Jahren geradezu schändlich beraubt wurde im Zug, 5 Minuten vor der verlangsamten Einfahrt in Delhi, Alt-Delhi, das als gefährlich gilt. Aber eigentlich war und ist das Reisen in Indien immer abenteuerlich. Ich erinnere mich an Zeiten, wo ich regelmäßig stundenlang an Bahnhöfn herumsaß, ohne zu wissen, ob der Zug nun tatsächlich eintreffen wird oder nicht. Da habe ich auch gelernt, mit Gruppen von Menschen umzugehen, die sich mit großen, neugierigen Augen um mich herumgruppierten, ohne zu ahnen, dass sie 20-30 Anwesenheiten darstellten, deren Augen alle auf mir ruhten. Dann fand ich den genial-simplen Trick. Nach freundlichem Hin-und Herlächeln und auch mal die uralte Frage, wo ein Fremdling herkommt, beantwortet habe, fing ich meinerseits mit Fragen an: und duuuuuu, wer bist du? Das Feld war rasch geräumt. Im Zug selbst war es dann anders. Großherziges Einlassen allerseits auf die Gegebenheiten. Wer will schon eine miese Reise haben? Jetzt ist ja auch alles neu geordnet. Zum Beispiel führt die Neuordnung mit den Rädchen an den Koffern dazu, dass ich nun, als ich 20 Minuten vor Zugeinfahrt am Bahnhof ankomme, weit und breit keinen rotbekleideten Porter finden kann. Ich muss einen Herumstehenden zum Helden machen, der mir die schwere Tasche durch die Taschenüberprüfungmaschine schiebt und auf der Platform abstellt. Hätte ich ein Gewehr quer auf dem Kopf getragen, wäre es auch niemandem aufgefallen. Der für mich Tragende strahlt. Er hat bereits um 5:30 Unvorstellbares geleistet, sein Tag ist gut. Jemand findet dann doch noch einen Porter für mich, was sich als günstig herausstellt, denn der Zug fährt zur Abwechslung mal auf einem anderen Gleis, sodass man eine der anstrengenden Brücken auf den Bahnhöfen überqueren muss. So, jetzt schön runterschrauben. Der Zug ist einigermaßen pünktlich, und der nette Porter mit meiner Geldgabe zufrieden, das ist auch selten, denn bei uns Bleichgesichtern kann immer nach mehr gefragt werden. Dann den gebuchten Sitz erspähen. Alle schlafen noch. Ich muss mich auch legen, denn der Mittlere schläft auch noch. Irgendwann werden dann im Laufe des Morgens alle Mittelsitze heruntergeklappt, kleine Handtücher und Zahnputzzeug wandert ruhelos hin und her, dann kann das gemeinsame Sitzen beginnen. Und das Schauen, mit wem man hier reist, obwohl das Schauen und Durchfühlen nicht mehr so klar spürbar ist wie „früher“, denn kaum ist das morgendliche Erfrischungsritual beendet, werden allerorts die Smartphones eingeschaltet. Mein Gegenüber hört Nachrichten, zimlich laut, finde ich. Ich höre die BJP Parteigenossen skandieren und sage laut: Ah, BJP!? Es dauert eine Weile, bis er das Wort mit mir verbinden kann. How you know?, fragt er mich, ich sage: one learns to know things. Das führt dann im Laufe der Fahrt zu angenehmen Gesprächen. Neben mir sitzt ein riesengroßer, fast schwarzhäutiger Mann aus dem Süden, nett und freundlich. Er beteiligt sich nicht am Reden, bitet aber allen Tee an. Er spielt unermüdlich ein buntes Computerspiel, wo er bunte Bällchen mit einem bunten Bällchenstab abknallen muss, bis alle verschwunden sind, dann entsteht sofort wieder ein Feld von Bällchen. Eine junge Frau kommt und versucht, ihr Smartphone bei uns aufzuladen, aber irgendwas funktioniert nicht. Drei Männer bemühen sich, das richtige Aufladegerät zu orten, und tatsächlich, ein winziges Aufsteckding macht’s möglich, das mein Gegegnüber in der Tasche hatte. Wir reden über die Veränderungen in Indien, jaja, aber und so, und er erzählt mir, dass in seinem Haus keiner mehr das Zimmer verlassen muss, um mit dem Anderen zu reden, sondern, wie praktisch, man sendet eine Message, baaas!, (fertig!). Und natürlich wartet auf ihn ein Uber-Taxi am anderen Ende. Die junge Frau sendet nun Facebook-Botschaften aus und lächelt oft vor sich hin. Ihre Eltern sitzen auch bei uns. An einer bestimmten Halte-Station holen sie ihr Essen draußen von einer Online-Bestellung ab, frische Chapattis und Sabzi (Gemüse). Ich werde informiert, dass man das jetzt gerne macht, teilnehmen an einer aufsteigenden oder bereits prallen Marktlücke, die schon hochgradig im Wettbewerb ist, daher die Qualität gut, sagen sie. Als ich meine von Shivani mitgegebenen Chapattis und das wohlschmeckende Dazu heraushole, schauen bereits weniger erstaunte Blicke auf mein Display. Ob ich die Chapatis selbst gemacht hätte? Ich lüge. Ja, aber ich hätte es natürlich nicht im Blut wie indische Frauen, mein Gott, das schafft doch keine von uns. Chapattis! Perfektes Rund vor dem Herrn! Bescheiden esse ich das königliche Mahl, habe auch Servietten dabei wie alle anderen, das hilft sehr beim zu erwartenden Kleckern. Es wird über Indien geredet, über Modi und sein „Cashless India“, während unsere schon wieder wegen dem Sauerstoffmangel im AC-Waggon ermüdenden Augen im Draußen auf endlose Abfallhaufen starren, auf vor Dreck wimmelnde Teiche und Gewässer, in die kein Mensch mehr einen Fuß senken will. Dann wieder grasgrüne Felder und wunderbare Wohnhäuser mit Kühen und Büffeln und Ziegen im Hof, wo man aussteigen möchte und herumwandern. In der Zwischenzeit ist unser Abteil total entspannt. Überall offene Blicke, wenn sie von den Smartphones hochblicken und lächeln. Gefahrlose Atmosphäre, das ist auch Indien. Hat man den familiären Kontakt mal geknüpft und alle sind zufrieden miteinander, bzw haben sich aneinander gewöhn und die Normalität eines Wunders hat sich ausgebreitett, ist es ein bisschen wie ein gemeinsam erschaffenens Wohnzimmer. Ein paar Stunden lang. Ich spüre das deutlich, als sie alle vor Delhi vor mir austeigen. Freunde weg. Wieder Fremde. Tasche festhalten. Neue Leute. Keine Zeit mehr zum Kennenlernen. Old-Delhi, gefährlicher Ort. Ich komme gut aus dem Zug und finde einen Porter und gehe stracks auf das Prepaid Scooter Häuschen zu, denn es gibt doch keine Prepaid Taxis, wie es das Internet suggeriert hat, und ich will nicht um Preise feilschen, da eine Meute Taxifahrer uns schon auf den Fersen ist. Ich fahre Scooter mit einem Brudertyp Mann, der Muslim ist und er freut sich, dass ich mit dem Hazrat Express aus Ajmer gekommen bin und die Moschee kenne und Sufis schätze und ihre Poesie. So komme ich nach einer Stunde gerade in Hochform ausbrechender Hitze, heute 37 Grad, bei John an, wo ich jetzt bin.


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