Sommer/Neumond

Der Sommer bahnt sich an. Die Pfauen senden ihre durchdringenden Töne durchs All. Pfauenschreie locken Pfauenerinnerungen in mir hervor. Staubige Straßen. Tempel, irgendwo in den Sand gebaut. Gruppierungen von „Nilgai“, einer Art Antilope, scheu und unzähmbar. Die Edlen unter den Herren tragen jetzt Lunghi und Kurta aus feinstem Tuch: Baumwolle, diese Tage schwer zu finden, und wenn, dann teuer. Um 9 Uhr schon heißer Sonnenstrahl. Erst sitze ich eine Weile am Winterstammplatz, dann ziehe ich um in den Pavillon, mein beliebtester Ort, durch die kalten Monate hindurch immer in Sichtweite, bis es wieder soweit ist. Innen und außen geschützt von den Materialien und der Architektur reichhaltiger Kulturen, auf die der Sonnengott sein Licht gegossen hat und gießt. Man darf mir vergeben für die Wegrutscher dahin, wo Göttliches auch für mich noch Namen und Form hatte. Allerdings war ich nie Sonnenanbeterin und habe sie immer gern weiblich gesehen, wie wir es in Deutschland gewohnt sind. Von mir aus könnte sie auch auf den Bildern in einer goldenen Kutsche und wildmähnigen Rassepferden durch die Gegend preschen. Sie ist ja auch nicht so lieb hier wie bei uns zuhause, wenn sie sich zeigt und alle nur froh sind, sondern hier brennt sie und drängt die Gemüter zum Nichts oder zum Äußersten. Und wenn wir Foreigners „Adieu“ sagen, geht es erst richtig los. Fünf Jahre war ich mal hier, ohne abzureisen. Die Zauberzeit ohne offizielle Dokumente. Ich erinnere mich an reichhaltiges Schattenspenden riesiger Banianbäume, an viele Nächte ohne Schlaf, aber mit viel Gesang und wunderbarer Musik, die irgendwann ins „Automatische“ abhob und wir einander zunickten. Es fiel nicht schwer, dann Gottheiten zu sehen, waren sie doch lebendig und segensspendend unterwegs in jedem anwesenden Geist. Da dachte ich oft, ich könnte Gedanken lesen, alles zwischen Menschen schien offen und schwerelos. Mit Manchen ist es auch gelungen, warum sollte ich daran zweifeln. „Schau mal rüber zu mir, wenn du das hörst“, sagte ich innerlich zB. Zu Gyan Shyam, dem Arglosen, und er schaute herüber und lächelte. Mehr Beweis war nicht nötig. Wir waren alle noch unter uns und unterwegs miteinander. Es war die Zeit in Indien noch vor den Computern, dem Fernsehen und den mobilen Geräten. Niemand hatte Interesse an Telefongesprächen, man war ja da. Nicht, dass ich in Ohren so klinge, als wollte ich die Zeit zurückhaben, nein!, aber es wundert schon manchmal, mit wem sie nun ständig am Smartphone reden, so als wäre auf einmal ein ganzes Volk an Telefonitis erkrankt. Aber zurück ins Jetzt. Wir durchqueren Amavashya, die mondlosen Stunden. Die Ufer sind voll mit irrsinnig lauten Pilgern. Die Grasverkäuferinnen auf der Brücke noch aufdringlicher als sonst. Na ja, besser, die Kühe fressen auch Gras außer Plastiktüten. Heller Rauch steigt auf von den kleineren Opferfeuern.
Gestern war ich in dieser Saison zum letzten Mal bei Krishna und Sangita zum Tee und um Brot zu holen. Schon zu heiß, um auf staubiger Straße zu ihnen zu wandern. Leise Trauer des Abschieds. Da mich gerade die Welt der Erscheinungen und ihre Geheimnisse beschäftigt, und wie man sich an ihr erfreuen kann, ohne durch komplizierte Vorgänge daran gehindert zu werden, kam ich voll in Fahrt mit dem Thema. Beide schüttelten lachend den Kopf. Außer dir kenne ich niemanden, der sich noch mit diesen Fragen beschäftigt, sagte Krishna zu mir. Und wenn du nicht da sitzt, denke ich auch nur darüber nach, wieviele Rechnungen ich noch bezahlen muss etc…Das beunruhigt mich eher, und ich richte mich auf in der kosmischen Hängematte. Alle denken nur noch ans Geld???? Ach ja, wusste ich eigentlich doch schon, habe ich euch doch gesagt: Narendra Modi, von wegen der Zerstörer der bösen Korruption und der Bringer frischer, pinker Banknoten! Was soll’s! Dann höre halt ich nur noch den Pfauenschrei, und das Wasser kräuselt so schön persönlich zu mir hin… Mir soll’s recht sein. Zum Glück kenne ich noch ein paar Andere, die das Wachsein im Dasein genießen. Die Welt singt für unsere Ohren das Schwanenlied. Warum nicht?, ist meine Beitragsfrage zum Neumond. Einen Monat später fängt das Neujahr der Hindus an, gemäß des Vikram Kalenders. Sie gehen ins Jahr 2074. Nun, sie sind uns halt 4 ½ Stunden und 57 Jahre voraus….Why not?

Das erste Bild zeigt Neumondfestivitäten von meinem Platz aus aufgenommen, das zweite einen Blick in den nahestehenden Banianbaum.


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