ROTTORORT


Auf einer Seite bin ich gefangen durch
das sich vollziehende Gericht, das bei
geschlossenen Türen stattfindet. Auf
der anderen Seite ist ein Durchgang
wie ein Tor, hinter dem Geborgenheit
und Wärme liegen. Ich hebe die Tür
aus den Angeln, nehme den Schlüssel
und öffne das Schloss. Ich trete über
die Schwelle.
Text und Bild stammen von einem sogenannten schwer erziehbaren Jugendlichen. Zwei Frauen von unserem Haus wurden (vor ungefähr zwanzig Jahren) von einer Mitarbeiterin des VSB (Verein für soziale Bildungsarbeit) angefragt, ob wir uns vorstellen könnten, bei einer Maßnahme mit schwer erziehbaren Jugendlichen mitzuwirken und etwas „Künstlerisches“ mit ihnen zu machen, da alle anderen Versuche gescheitert waren. Wir hatten die Jugendlichen dann alle in unser Haus eingeladen, um zu schauen, ob sich da eine Möglichkeit anbot. Es gab viel Fremdeln und tief gezogene Käppi-Verstimmung und keine Ahnung, was das alles soll, aber interessiert waren wir doch alle an dem Abenteuer. Ich denke, wir sprengten ein wenig ihre verschiedenen Widerstände gegen das „Normale“, aus dem sie ja herausbugsiert worden waren durch ihre Schutzmechanismen. Wir machten zwei Durchgänge und fühlten uns enorm beschenkt durch ihre Mitarbeit. Das Ganze endete in einer sehr schönen Ausstellung mit von ihnen wunderbar gestalteten Bildern und Texten. Vertreter des Arbeitsamtes kamen, um sich alles anzuschauen. Sie konnten es kaum fassen, was ihnen da an Reichtum des Ausdrucks geboten wurde, was dazu führte, dass das Amt die ganze Austellung kaufte. Das Bild oben kam aus dem Thema „Mandalas“. Heute morgen beim Frühstück tauchte das Blatt aus einem Aktenordner unserer gemeinsamen Arbeiten auf. Ich erinnerte mich daran, dass wir die Jugendlichen gebeten hatten, mit ein paar losen Worten einen kleinen Text zu schreiben. Dieser Text oben stand also an der Seite des Bildes. Ich hatte das Gefühl, aus unsichtbaren Ebenen ein Blatt zugeflattert zu bekommen, damit das Geheimnis des Pelikans Worte erhält, die der laufenden Realität eine Struktur geben. (Pelikane sind Namensgeber der Ordnung Pelicaniformes). Angeblich soll sich ja der Vogel die eigene Brust öffnen und das Blut auf die toten Jungen tropfen, damit sie dadurch wieder ins Leben zurückfinden. Meine Güte, das ist Level 11 und sprengt die Vorstellung des Spiels. Ich denke, man kann es auch symbolisch einfacher verstehen. Wie ich schon durch das indische Wort „Mrtlok“ (Planet der Toten) aufmerksam darauf gemacht wurde, dass man nicht wirklich leicht erkennen kann, ob ein Mensch „tot“ oder „lebendig“ ist, da es auch auf die Definition der beiden Wirte ankommt. Vom „Totsein“ würde man eher sprechen, wenn wir als Mensch keine Verbindung zu uns selbst haben, wobei das geistige Sterben auch etwas zu tun hat mit dem bewussten Austritt aus der Blase, in der wir uns alle wohlfühlen können, da sie vertraut ist und keinerlei Anstoß oder Ausgestoßensein bietet. Verzieht sich das Blasen-Ich aber wie die abgestreifte Haut einer Schlange, kommt innen etwas Lebendiges in Gang, das sich selbst bestimmt und nicht nur mit weniger unerreichbaren Wünschen belastet ist, sondern auch mit weniger Leiden. Immer ist TOR, durch das ich hindurchgehen kann. Immer ist ORT, von dem aus alles möglich ist. Und nun kommt ROT, das ist des Rätsels letztes Geheimnis. Da es so einfach ist, es zu nennen, weil wir alle glauben und denken, es ist schon voll in Aktion bei uns, deswegen spreche ich das Wort nicht aus. Es ist das einzige Wort, das allein durch seine Manifestation zum Schlüssel wird, den wir alle in uns tragen. Von da aus geht es nur noch um die Umdrehung. Wie gesagt: es geht um Level 11, die Selbstentlassung aus dem System der Pyramide(n).

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