Spiel

*

In Indien wird der lebendige Seinsvorgang auch ein Spiel genannt, ein immerhin großes und göttliches Spiel (Maha Lila), auf einem grundsätzlich illusionären Teppich herrlich ausgebreitet, und immer ein göttliches Wort zur Verfügung, um einem, wenn man so möchte, die Spielregeln zu erklären, an die man sich halten kann oder auch nicht. Da im Buddhismus und im Hinduismus auch der Tod nur ein Tor zu weiterem Erleben ist, wird er ähnlich zelebriert wie andere Festlichkeiten. Man hat Rituale erfunden, um Ausschau zu halten nach Zeichen, was die verschwundene Form als nächste Manifestation zu bieten hat. Die menschliche Gestalt zu erlangen gilt bereits als Höchstleistung, wer weiß schon, was man womöglich vorher war, Wurm oder Eidechse oder Adler usw., und dann: nur Menschenform geworden, noch nicht menschenmögliche, geistig geschulte Ausführung, noch nicht Menschsein. Alles kann immer mal wieder aufhören oder wieder anfangen, oder einfach weitergehen, wenn man den Weg des Flusses oder die Eigenart der Delphine oder die Himmelsshpären so weit durchgrübelt hat, dass man, ganz unversehens, auf das  verbindende Gesetz stößt, nicht menschengemacht, aber menschenbegrenzt. Im Westen bin ich öfters mal bei dem Wort „Spiel“ auf Widerstand gestoßen, verständlicherweise. Es hat ja (nicht mehr) diese federleichte, helle Begleitung, wie nur Götter sie gewähren können, sondern zeigt sich als bleischweres Bündel der menschlichen Bürde, die einem auferlegt wird als Schicksalsklumpen, bei dessen Formierung man keinerlei kreativen Anteil hatte. Der dann zu therapeutischen Expert:innen gebracht wird, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Aber diese Tragweite ein Spiel zu nennen? Ein Abenteuer also, in dem man der persönlichen Entwicklung wegen zu allerlei Prüfungen bereit ist, die zu bestehen sind, obwohl keiner, auch kein Gott und kein Vater und keine Mutter und kein Coach und kein Lehrer hier mehr was zu sagen oder zu behaupten oder zu kontrollieren hat, denn irgendwann ist es soweit: nicht als Kind kehrt man zurück zum Urgrund, sondern automatisch spült einen die Bewältigung der Szenen hinein in den eigenen Ton, und der kreative Geist macht sich an die Gesänge, wie auch immer, mit was auch immer, wo auch immer, aber nicht mit wem auch immer. Denn in der Tat braucht man Mitspieler:innen, jede/r für jede/n die Mitspieler:innen, damit das Spiel geschliffen, arglos und mächtig, nicht machthungrig ist. Am mächtigsten aber ist die Nähe des Todes. Alle derzeit Unbeteiligten weichen zurück, nur du bist mittendrin: du verlässt die derzeitige Heimat. Alles, was du warst und bist, nimmst du mit. Mit dieser radikalen Solo-Performance  verlassen wir (irgendwann) einander. Wir wissen nicht, was er denkt, der Blaue Planet,  und was wir mit uns auf ihm gemacht haben.

 

* von einem unserer früheren Performance Programmhefte

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert