zerbrechlich


Lücke im Stein
Eine kleine Lücke im Stein (kann man so viel Aufmerksamkeit von sich fordern?), und alles ist anders. Kalima!, ruft ein Vorübergehender und eilt zu Hilfe, aber ich bin nur noch Wirkung des schwer Denkbaren. Zuerst ist es nicht nur der Körper – das System steht unter Schock. Es wird um mich gekümmert. Das ganze Gewicht ist auf das Handgelenk gefallen, der Knochen ist gebrochen. Eine Weile denkt es gar nichts – es ist erfüllt von Übelkeit. Auf dem Weg zum Government Hospital, und auch dort,  ist nur Schattenreich, betäubt von Schmerzen. Das X-Ray überrascht nicht, es muss operiert werden, dafür gibt es hier keine facilities. Ich muss das wunde, verdrehte Ding halten, bis es an den richtigen Ort kommt. Aber die Spritze hilft schon, in Verbindung zu kommen mit dem, was ich zur Handhabung brauche: die Unterscheidung zwischen dem, was meinem Körper zugestoßen ist, und mir, die ich nun gefordert bin, damit umzugehen. Klar!, wenn das Schiff in Not ist, muss das erst einmal geregelt werden, um es wieder seetüchtig zu machen. Der Anker wird ausgeworfen, die Beweglichkeit eingeschränkt. Nun muss die rechte Hand (zum Glück) alles übernehmen, und siehe da!, sie kann es. Gerne überschreitet man (oder ich?) eigene Grenzen, und es ist befriedigend zu erleben, was alles anders geht als das, was bisher so selbstverständlich schien. Wie oft hat man von ihnen mehr oder weniger flüchtig gehört, von den Toten, ja, aber auch von den Verletzten, von denen man hinterher nie etwas hört, warum auch, Wir sind so verletzlich, so zerbrechlich. David, ein alter Freund von mir aus Guatemala, wollte seinem schwerreichen Vater mal, als er 17 Jahre alt war, beweisen, dass er arbeiten konnte, und ging in den Semesterferien auf den Bau, wo ihn eine fehlerhaft schwingende Eisenstange vom Gerüst fegte und an den Rollstuhl bannte. Ich habe ihn hier in Indien getroffen – er reiste allein und sah im Rollstuhl aus wie ein König. Es ist lebenswichtig, wer um einen herum ist, aber viele Stunden ist man auch allein und froh, wenn der nötige Schlaf kommt oder die notwendige Energie, um das zu tun, was auf einmal viel Zeit und Aufwand kostet. Und doch kann ich damit rechnen, dass sich der gebrochene Knochen wieder zusammenfügt. Mit den „karmischen“ Zusammenhängen, mit denen im meditativen Raum so gerne gepokert wird, bin ich sehr locker geworden. Denn das aus einem sich Herausdichtende ist schön, wenn es sich meldet, aber das Hineindichten von außen ins Ungewisse halte ich nicht mehr für angebracht. Es ist allerdings  nichts dagegen einzuwenden, Erlebtes als eine Stimmigkeit zu empfinden, was ja nur bedeutet, dass man das Überraschende und Erschreckende angenommen und mitgenommen hat, damit es (auch) in eigener Regie gut heilen kann.

 

 


Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert