(ent)gegen


Vom Narrativ des Niedergangs
Neulich habe ich irgendwo gelesen, dass „das Narrativ des Niedergangs sich in eine selbsterfüllende Prophezeiung verwandeln kann“. Auf jeden Fall kann man es so sehen und kennt das in gewissem Maße aus eigener Erfahrung, wenn man zum Beispiel geneigt ist, dem Sorgenvollen mehr Raum zu geben als dem Erfreulichen. Auf jedem Millimeter der Autobahn fahren wir das Ding selbst und wissen bei aller errungenen Gelassenheit durch Praxis genau, dass weiterhin in jedem Nu alles auf dem Spiel steht. Und nichts ist geeigneter als ein Krieg, einen unversehens in die Abgründe menschlichen Verhaltens zu ziehen und zu zerren. So kann man sich auch den Hades vorstellen: überall undurchdringliches, schwerblütiges Grau wie auf Gerhard Richters Grau-Serie-Bildern, vor deren atemberaubender Dichte man immerhin erleben kann, dass man als Betrachter*in auf sich zurückgeworfen wird. Dann (im Hades) kommen ständig Leichen an, die von Robotern mit schweren Mänteln bekleidet, auf ein Fließband gelegt und in die bedeutungslose Weite transportiert werden. Auf der anderen Seite stehen verhüllte Frauen aller Art und weinen um das Gewesene. Wenn man noch tiefer möchte, muss man die epische Ebene des Ausgesonnenen verlassen und sich dem Unerträglichen widmen. Davor kommt noch etwas: man muss schon mal ohnmächtig in den traumlosen Sog gezogen worden sein und sich selbst wieder an die Wasseroberfläche gezerrt haben, und da liegt man dann, gut, vielleicht mit etwas Teer an den Flügeln, aber lebensbereit. Und obwohl es kaum jemandem gelingen wird, der Bitte von Elena Selenska zu entsprechen, nämlich dass wir uns nicht an des ukrainischen Volkes Leid gewöhnen sollen, so sollen wir uns aber auch nicht an die Finsternis dieses Leides gewöhnen. Was kann einen Menschen, der vielleicht noch ein paar Hoffnungsstrohhalme in der Hosentasche hat,schneller entmutigen als dieses grausame Gaukelspiel, bei dem selbst den Trübsinnigsten noch trüber zumute wird. Daher muss man beim Mitdenken aufpassen, in welche Richtung man zu denken beliebt. Ja, alles fließt dahin, aber wandelt sich auch ständig, und die Möglichkeit einer Beteiligung ist nicht zu verachten. Ich muss nur wissen wie, und wo, und womit, und mit wem, und überhaupt. Also uns selbst auch nicht an der Küste liegen lassen, sondern weiterhin einsatzbereit sein für das, für was man geeignet ist.

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