abwartend

Gestern schien die Sonne stundenlang, und selbst der kalte Wind hatte sich gelegt. Ich ging mal wieder hinaus, die unverkennbare Ahnung des Frühlings lag in der Luft. Der Schatten des Krieges lag auch in der Luft. In meinem Kopf suchte es nach Gedichten und Texten, die genau das beschrieben hatten, die scheinbare Unvereinbarkeit der beiden Situationen und Gefühle, und doch passiert genau das. Der Frühling ist im Anmarsch, und so sind es auch Soldaten und Panzer und immer gefährlichere Waffen, die auf die Städte zufahren und bereit sind, dort alles zu zerstören, was für sie möglich ist, zum Beispiel auch das eigene Leben. Was wird man dieser Tage wohl oder übel hin-und hergerissen zwischen dem, was man als gute Nachricht einordnen möchte und  dem, was an Schrecklichem bereits geschehen ist. Einerseits will man hören, was weiterhin geschieht, betrifft es u.a. doch auch unser eigenes Leben, und andrerseits schaltet man auch so manche Reden ab, denn wir sind informiert über das, was geschieht, und das, was uns im schlimmsten Falle blühen kann. Wir, die wir noch an friedlichen Frühstückstischen sitzen und die Lage besprechen können. Alle werden sich bereit erklären müssen, die Einbußen mitzutragen, das ist immerhin vorstellbarer als sich mit einem Mann, einem einzigen Mann, befassen zu müssen, weil er in Gefahr ist, bzw. wir in Gefahr sind durch seinen spürbaren Gesichtsverlust und die daraus entstehende Abnahme seiner Vernunft. Selten ist so locker das Wort „Angst“ gefallen. Auf dem Spaziergang treffen wir Nachbarn, die man im Winter selten zu Gesicht bekommt. Sie haben nicht nur Angst, sondern sie haben auch andere Dinge zu bewältigen. Der Mann der einen Frau sitzt seit einem Sturz vom Dach im Rollstuhl, die andere hatte sich vor kurzem das Handgelenk gebrochen, es war noch nicht ganz geheilt. In jedem Alltag gibt es so viel zu bewältigen, was sich auch in kriegerischen Notsituationen als eine extra Bürde herausstellen kann. Was ist es, was man am dringendsten braucht, wenn es um die berühmte Tasche geht, die man dann gerne bereitstehen hätte, um zumindest über kurze Zeit handlungsfähig zu bleiben. Natürlich kann man auch den Wert einer stoischen Einstellung sehen, denn man weiß keineswegs, was kommt, oder wenn es kommt, wie es kommt. Und da ist doch mal eine Gelegenheit für das  ausgeleierte Wort „Achtsamkeit“, mit dem so viel herumgepokert wird, so, als könnte man mühelos den Schalter auf achtsam drehen und wäre dann  ein freier oder eine freie Betrachterin des Weltgeschehens. Dabei spüren wir doch alle die Ohnmacht der Tatsache gegenüber, dass ein einziger Mensch unaufhaltsam so viel Grauenvolles anordnen und durchführen kann. Als hätten wir es nicht schon oft genug gesehen und erlebt, um es wissen zu müssen, sodass auf einmal die eigene Betrachtungsweise erschüttert werden kann, und man immer wieder bemüht ist, das innere Gleichgewicht im Lot zu halten. Damit einen das Heranrauschen der Emotionen nicht im Griff hat. Eigentlich nehme ich eher eine tiefe Ruhe in mir wahr, wach und abwartend.

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