wünschenswert


Winterstille
Ungern nehme ich das scheußliche Wort „Zapfenstreich“ noch einmal auf, nachdem ich mich gestern schon durch häufige Benutzung davon entlastet zu haben glaubte. Denn ich wollte außer der Rede der Kanzlerin dann doch nachträglich in das ganze Ritual hineinschauen: was machen die denn da so bei dieser eine einzige Person so hochverehrenden Feier. Abgesehen davon, dass Frau Merkel auf dem kalten Thron ziemlich deplaziert aussah neben der ebenfalls frierenden Frau Karrenbauer und noch jemandem. Aber was fand da statt, was so lange dauerte, dass man sogar den Nutzen der Masken sehen konnte, die die eisige Luft vom eigenen Atemdampf abhielten. Aber was war da n o c h zu sehen!? Da standen überall sehr viele gedrillte Männer herum und zeigten, was man ihnen alles beigebracht hatte. Es brauchte nur der große Vorbrüller einen Befehl hinausjagen in die Atmosphäre und konnte sich todsicher  darauf verlassen, dass alle das Gleiche taten. Die Gesten, die hier offensichtlich schon sehr lange eingeübt waren, kannten an Sinnlosigkeit keinerlei Grenzen, und zack!, war das Gewehr oben, und zack! in der Mitte, und wieder zack! jetzt war es unten, das Gewehr, das man zum Töten von Menschen angefertigt hatte, hier aber nur als Performance vorgeführt wurde. Ein Ehrenzirkus sozusagen für politisch Eingeweihte, und dann wieder zack, da muss der Helm runter, und zack! muss er wieder rauf, der Befehl heißt „Helm auf den Kopf“. Alle diese grundverschiedenen Menschen zeigen die unheimlichste aller Shows, das ist die militärische Show, in deren Hinterzimmern es um Blut und Ehre geht. Ich weiß noch, wie wir als öfters mal bewusste Naivlinge der Sechziger Bewegung den Satz „Stell‘ dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin“ so gerne hatten, weil so vernünftig und einleuchtend, und immer wieder mal haben es ja manche tatsächlich geschafft und sind nicht hingegangen, oder sind rechtzeitig weggegangen, weil sie ahnten, dass etwas geschehen musste, was keinem Wesen gut tun kann. Aber die meisten sind hingegangen, obwohl man davon ausgehen darf, dass viele von ihnen erfahren haben, dass der Tod doch nicht das Schlimmste ist, was einem passieren kann. Denn es gibt noch viel grässlichere Dinge, die an einem Menschen lebenslang zerren und zehren können, sodass das, was man gerne „das Leben“ nennt, gar nicht mehr auf lebendige Weise stattfinden kann, sondern es kann in einem erstarrten Zustand so zusammenschrumpfen und kein Versteck der Welt dieses Nicht-Sein erlösen kann. Warum machen all diese Männer das mit, so etwas vollkommen Idiotisches und Absonderliches, das immer wieder demonstriert, und hier noch als Auszeichnung, wie leicht es ist, einen Menschen in das dem Menschlichen total Widerstrebende hinein zu manipulieren. Und die, die mitmachen, als wäre das das Normale, die kommen dann nicht mehr heraus aus dem Spiel, wenn es ans Töten geht. Denn wenn man wirklich nicht töten will, warum spielt man dann mit einer Waffe herum. Einmal kam ich ganz nah an die Gefahr einer Anziehung heran, was Waffen betrifft. Eine Ärztin aus Kalkutta, die ich sehr schätzte, wollte ihren Lady Revolver verkaufen, um Verbesserungen in ihrem Krankenhaus vorzunehmen. Ich wollte das Ding unbedingt haben (für 70 000 Rupien). Es übte einen geradezu erotischen Reiz auf mich aus,  diese scheinbare Sicherung gegen alle möglichen Schreckensszenarien, die wir Frauen zuweilen auf dem Schirm haben. Das halte ich für den gefährlichsten Unterton der Waffenhandhabung, eben diese dunkle Note triebhafter Macht oder aber triebhafter Unterwerfung unter etwas, was jedem geistig wachen Menschen gegen den Strich gehen müsste. Müsste, aber nicht muss. Daher auch nicht zu viel Winterstille, sondern eine Bereitschaft für Wachheit in jeder Hinsicht ist immer das Wünschenswerte.

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