Übungsfeld

Alle (oder die meisten) (oder viele) kommen nicht umhin, sich mit ihrem Geborensein zu beschäftigen, und auch aus der philosophischen Welt kamen bittere Kommentare über das scheinbar willkürliche Hineingeworfensein in den Spielplan. Der hat zwar schon ein paar Anweisungen auf Lager, oder Ratschläge, oder Vorschläge, wie das alles zu handhaben sein könnte, wäre man nicht genau diejenige (oder derjenige), die (oder den) eine Kairoslaune hineingeschleudert in den Seinsschlund oder herausgeschleudert aus der Ursuppe, wo irgend ein Mann und irgend eine Frau in Zuständen, die von ihnen oft selbst nicht wahrgenommen werden, etwas zeugen, nämlich einen Menschen, der sie, falls das kleine Potential es schafft, nicht vernichtet zu werden, der sie also den Rest des Lebens von nun an beschäftigen wird, zumindest eine ganze Strecke lang. Die Mutter weiß (meistens), dass sie bei der Stange bleiben muss, denn sonst ist das Überleben des Kindes nicht garantiert. Garantiert ist überhaupt nichts, obwohl nackte Fakten vorherrschen. Man ist da und der Erdlingsbildung automatisch unterworfen. Dabei merkt man, dass die Jahre vergehen, und zwei Mal jährlich tickt die Zahlenuhr besonders: beim Geburtstag und bei der Neujahrskurve, wenn’s sprudelt und zischt und man vielleicht gerade in Australien ein paar Stunden jünger ist, oder bis überall endlich Mitternacht vorbei ist und alle wissen, dass jetzt 2021 ist, obwohl es in Indien eigentlich schon das Jahr 2078 ist (im Vikram Kalender), aber jetzt läuft viel über die Ordnungen der Weißhäute. Man wird also zum Beispiel als Weißhaut geboren und nimmt einige der Sitten und Gebräuche an, zum Beispiel das Geburtstagsfeiern. Im Land der Weißhäute ist Geburtstagsfeiern ein ganz wichtiges Ritual. Es ist eine der Möglichkeiten, wo entweder was für einen ausgerichtet wird, oder wo man selbst was in die Hand nehmen muss, denn die um einen herum wissen meistens, wann die anderen geboren sind und können nicht so tun, als wüssten sie’s nicht, was sie ja auch gar nicht wollen. Als ich einst in Indien ankam, traf ich auf sehr viele Menschen, die nicht wussten, wann sie geboren wurden. Ihre Kinder gingen dann allerdings zur Schule und mussten oft ein Datum erfinden, das gar nicht existierte. Die Mutter von Lali zum Beispiel wusste nur noch, dass der Mond schien bei ihrer Geburt, aber nicht in welchem Monat und Jahr. Oder es wurde zum Vorgaukeln gegriffen. So wurde ich einmal zu einer seltsamen Gestalt an einem Feuer gebracht, von der man munkelte, sie, die Form, sei 125 Jahre alt, ein Heiliger natürlich, an dem kein Haar mehr angezweifelt werden durfte, vor allem aber nicht die Legende. Je mehr Menschen in die Schule gingen, desto mehr Birthday Parties gab es. So konnte ich noch einige Jahre unbefragt herumlaufen, da keinen das Thema beschäftigte. Ich komme drauf, weil wir heute im Haus so ein Datum hatten (Claudia). Erst einmal ging es um gar nichts, dann ging es um viel. Als klar wurde, dass der Geburtstag um s i e ging, die ihn hatte, fragte ein Freund, ob es ihr recht wäre, wenn es um sie ginge. Um was soll es denn sonst gehen, oder zumindest kann es auch am Geburtstag um das Geborensein gehen, und wie das war, und wie es sich gestaltete, und was man davon weiß, und ob die Welt, in die man hineinkam, eine war, an die man gerne denkt undsoweiter. Aber natürlich gilt auch für den Geburtstag dasselbe wie für den Frauentag, an dem in Indien Frauen einen ganzen Tag lang frei Bus fahren dürfen. Denn niemand sollte einen davon abhalten können, das Geborensein zu zelebrieren, wann auch immer es einem angemessen scheint. Da kann der Tag mit dem Datum als Übungsfeld dienen.

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