einsam

Einsam, sagte der Sprecher, würde es im November werden, wegen der aufkommenden Maßnahmen. Weil man nicht so zueinander kommen kann, wie man gern möchte? Oder auf einmal merkt man das sogar wegen dem unheimlichen Virus. Dabei ist die Einsamkeit im November doch schon vorher jedem bekannt gewesen: alles vergeht unaufhörlich und sinkt in ungeahnte Tiefen, wo es wieder darauf ankommt, was man damit macht. Ob man sie kennt, die unwegbaren Schluchten, die Laterne in der Hand, unaufhaltsam auf den dunkelsten aller vorstellbaren Flecken zugehend, hypnotisch angezogen vom Ungewissen, und wissen wollend, was da ist, und ob man es tatsächlich selbst sein könnte, man selbst als Wüste und Steppensand, alles enthalten im Samen. Ein Same eben, der einen in verhältnismäßig sicherer Umgebung hervorgebracht hat, zum eigenen Erstaunen vortrefflich geeignet. Wer bist du, Fremdling, und aus welcher Ein-Samkeit bist du hervorgekommen oder hast dich (auch) unter schwierigsten Turbulenzen hervorgestrampelt und bist immerhin angekommen, um hier mitzumachen. Darüber bin ich sehr froh, denn das Wort ‚Einsamkeit‘ erfüllt mich mit großer Wärme und Zärtlichkeit, so gut war sie zu mir. Dann hatte ich das Glück, dass schon ganz früh meine jugendlichen Finger nach dem ‚Zarathustra‘ griffen, den konnte ich gut verstehen, den Weltenwanderer, der Liebe bringen wollte zu den Menschen, unterwegs mit seinem Adler, seiner Schlange. Deswegen hieß auch der Adler, den ich damals in Kathmandu auf der Straße einem Händler abgekauft hatte, Zarathustra. Und natürlich kann ich noch das Nachtlied auswendig, so ein vertrautes Gefühl kann man auch Liebe nennen, wenn man es kann. Den Zarathustra habe ich dann weiterziehen lassen können, schon weil der Meister selbst an seinem Helden zerbrach, bzw an sich selbst, das sieht man ungern ein, aber man muss. Doch in der Einsamkeit des Novembers kann man ruhig die Worte vor sich hinmurmeln ‚O Mensch, gib acht! Es spricht die tiefe Mitternacht. Aus tiefem Traum bin ich erwacht…Aus tiefem Traum ist er erwacht! Und es stimmt auch heute noch, dass die Welt tief ist, und ihr Weh tief ist. Tief ist ihr Weh. Einsamkeit kann um die Köpfe aller Menschen herumschweben wie die Einsamkeitsgeister, die man gerufen hat und nicht mehr weiß, wie man sie los wird. In der Ehe, in der Freundschaft, in der Schule, in der Pandemie. Angenehm ist die Einsamkeit, wenn sie nicht vollgepackt ist mit Angst und Gefühlskälte, das braucht dann eher praktische Medizin und Zuwendung. Ansonsten kann man sich darin aufhalten wie die Königin der Steppe und der Sandkörner. Die Einsamkeit ist weiblich, das finde ich angebracht. Poetinnen konnten hier durchatmen und ihren Eigenschaften und Eingebungen Raum verschaffen, ohne von patriarchaler Weltsicht heimgesucht zu werden. Für den Glanz der Einsamkeit muss man geeignet sein. Der Weg in diese kreative Leere, eingetaucht in Bedeutungslosigkeit und doch erkennbar in unwiderruflicher Einzigartigkeit. Das ist auch einsam, sich selbst zu sein. Großzügig und mit Freude teilt man sich mit, damit das, was verbindet, zustande kommt. Ein Hoch auf die Einsamkeit!

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