Lamm

Das Gemälde von Jan van Eyck erschien auf der Titelseite einer Beilage der ‚Zeit‘. Das schön gemalte Lamm erregte meine Aufmerksamkeit. Ein paar alberne Gedanken schlichen sich ein, denn alle paar Jahre taucht von irgendwoher die Frage auf, was für ein chinesisches Horoskopzeichen man ist, und dass ich ein Lämmlein sein sollte, wollte mir in keinster Weise einleuchten. Natürlich wäre ich auch ungern Hahn, aber Lamm! So dachte ich: schau an, hier ist ein prächtiges Lamm. Es sieht aus, als wüsste es, was es tut und steht voll dazu.  Im Original  ist das Lamm umringt von Engeln, und ganz vorne sieht man in angemessenem Abstand Männer in vermutlich heiligen Schriften blättern. Deshalb muss man näher hinschauen und sieht dann, dass aus der Herzgegend des Lammes Blut fließt, das von einer goldenen Schale aufgefangen wird. Klar, irgendwie wusste man ja, dass es das Opferlamm ist. Die Frage bleibt offen, wie gut man sich in der einen umgebenden Religion auskennen muss. Natürlich kann es auch so sein, dass, je weniger man über etwas was weiß, desto direkter kann ein Blick etwas erfassen, denn er ist dann nicht durch Vorkenntnis getrübt, nichts gegen angebrachte Vorkenntnis. Um nicht zu sehr in ganz und gar sinnfreie Felder abzugleiten, habe ich mir selbst dann nochmal bestätigt, dass das Lamm im christlichen Kontext für Jesus Christus selbst steht und in dieser Form Agnus Dei genannt wird. Ließ er sich opfern, oder wurde er geopfert, oder macht das hier keinen Unterschied. ‚Liebe ist Wein ins Feuer aus dem Opferkrug‘ (Benn) Hier auf dem Gemälde steht auch kein braves Lämmlein, sondern ein sein Blut spendendes Lamm, vor dessen Würde selbst die Engel die Augen niederschlagen. Natürlich denkt man lieber an eine freiwillige Blutspende als an ein Tier aus einer Schafsherde, aber das ist doch alles wirklich…ja, was ist es denn. Alle Geschichten, die so unter Menschen entstanden sind, wollen immer auf etwas Bestimmtes hinweisen, was mit ihrer Welterfahrung in Verbindung steht. Vieles muss geglaubt werden, sonst kann es nicht sein. Und was zum Sein drängt, kommt an und wird eine Geschichte, wie alles andere auch eine Geschichte ist. Wo Geschichten sich bündeln und verdichten, werden Religionen daraus, oder Filme, oder Bücher, oder unauslöschliche Verbindungen entstehen. Und man selbst natürlich, man besteht ja auch aus Geschichten, die einen umranken, als müsste man sich für eine einzige entscheiden. Dabei verändert sich die Geschichte täglich und wählt ihre Quellen, aus denen sie sich speist. Deswegen erkennt man sich an dem, was einen speist. Eine verborgene Variante einer Deutung des Opferlamms könnte sein, dass Jesus durch freiwillige Selbstaufgabe zu seinem wahren Ruf gekommen ist, dem zu folgen er nun müheloser in der Lage war. Doch was fällt mir hier ein inmitten meines Bannes durch das Lamm: es sind Zeilen von Tamara Ralis in einem meiner Lieblingstexte von ihr, und gerade an dieser Stelle ein Lichtstrahl in der Finsternis geopferter Wesen:

Bei den Entschwundenen am Dunkelquell
leg‘ ab den letzten Dein-Beweis
auf jenen unvorhandenen Stein,
der alle Opfer wendet.


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