Eremitteln


Eigentlich ist (und war gestern) Sonntag mein Eremitinnentag.  Jede/r kann seine oder ihre Bezüge herstellen zu dem Vorüberziehenden, und nicht jedes Gemüt ist geeignet für, sagen wir, einen Jogginghosentag zum Beispiel. Nachdem ich diese meine Tages-Nennung einem gerade im Dorf angereisten Freund mitteilte, wünschte er mir gutes ‚Eremitteln‘, und erfreut nahm ich den Begriff in meine Wortschatztruhe auf, der sich im Verlaufe der Stunden immer tagesgeeigneter erwies. Denn es war außerdem indischer Republic Day, den zu ignorieren mir jedes Jahr bisher gelungen war, obwohl wir auch hier auf der Kamelpiazza Darbietungen haben, die ich ebenfalls gerne vermeide.  Dann wurde ich mitten im Eremitteln von der Familie meines Hausbesitzers vor das Fernsehgerät eingeladen und dachte mir, nun doch einmal hineinschauen zu können in diese gigantische Weltmacht-Performance, und wahrlich, da gab es viel zu sehen. ‚Jetzt siehst zu ‚Hindustan‘, meinte die Frau des Hauses voller Stolz, und es war klar, wie wenig ich damit zu tun hatte. Auch von indischen Poeten und Schriststellern etc. konnte ich lesen, dass sie sich auf dieser Parade nicht vertreten fühlen. Narendra Modi wirkte vollkommen erstarrt. Kein Wunder, denn auf den Wägen, die vorüberzogen, waren auch die kreativen Ideen aus Jammu und Kashmir, und Assam, und weitere Teile Indiens, in denen gerade die Proteste toben, das war sicher nicht einfach für den bei derart misslungenen Entscheidungen Ertappten, dessen düstere Geheimnisse, die er vermutlich für Lichtes hielt, sich zur Zeit durch die Reaktionen des Volkes entpuppen. Auch konnte man bei dieser Gelegenheit die ungeheuer grotesken Einstudierungen der Armeetruppen bewundern oder daran erschaudern mit der müßigen Frage, wie man so viele Menschen unentwegt und überall in solch eine Gehorsamsfolter einspannen kann. Dann waren da die vielen Displays indischer Zerstörungsmacht, alle möglichen phallischen Bomben-Kompositionen, und Panzer, die von der Moderatorin als einmalig gelobt wurden. Ich spürte, wie sich das Ermittelnwollen von meinem Tag ablöste. Ich stand auf und kehrte zurück in mein Refugium und erfreute mich an der Stille. Natürlich besteht keinem sein Hindustan nur am 26. Januar, wenn dem diesjährigen brasilianischen Ehrengast Jair Bolsonaro (bekannt als frauenfeindlich, schwulenfeindlich und rassistisch) in Delhi vorgeführt wurde, was alles hier schlummert, von dem die Welt wenig weiß. Auch hat nicht jeder so viel Menschenmaterial zur Verfügung wie Indien, und so viel Geld, und so viel durch religiöse Bindungen und Rituale eingeimpfte Gutgläubigkeiten. Insofern hat mich das Wenige, was ich von diesem Zirkus aus Delhi gesehen habe, genau dahin gebracht, wo ich hinwollte. In der Stille meines Raumes war ich dann doch innerlich wieder zuhause und dankte den vielen Möglichkeiten, die noch offen sind und vermutlich immer offen bleiben werden, solange man sie noch als Wege erkennen kann.

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