erinnern

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Manchmal kann man auf überraschende Weise auf sich selbst treffen. Es gibt z.B. die Pappkisten, in denen sich die Beweise des vergangenen Lebens ansammeln und dort häufig genug zu geistigem Staub werden. Man kann sich schwer von ihnen trennen, weil man in etwas dumpfer Weise vermutet, eines Tages doch noch hineinzuschauen und was auch immer dadurch zu erleben, was ja schon durchlebt wurde, nun aber vielleicht eine Neugier entfacht, ob man wohl wieder erkennt, wer man war, beziehungsweise immer noch ist. Als wir noch Briefe schrieben, die z.B. von Indien nach Deutschland gut ihre zehn Tage brauchen konnten und unter Umständen auch als leere Kuverts ankamen, wurden sie natürlich auch gesammelt (Ahh!, der Geruch des Papieres!), und automatisch wurde die Fähigkeit des Menschen kultiviert, sich  aus dem Nu heraus zu bewegen und ihn in andere Zeiträume zu transportieren. Man könnte zum Beispiel auch zur eigenen Unterhaltung irgendwo im inneren Raum einen riesigen Dachboden erschaffen, wo man (kurz) Männer und Frauen hineinprojeziert, die versunken und entgeistert in ihren Briefbündeln wühlen. Mit den Smartphones sorgt man sich ja eher um unknackbare Kennworte, wenn z.B.Vergangenes für Andere nicht zugänglich sein soll. Wem kann man trauen, nicht von Neugier überwältigt zu werden? Nun ist ja die stets hochaktuelle Frage: wer war und ist man denn so? Erkennt man sich wieder in den unendlichen Geschichten und Räumen und Gärten und Palästen und Hütten und Tempeln und Ländern und Wäldern und Städten und Gassen etc, in denen man sich alleine und mit Anderen bewegt hat. Wer waren denn die Anderen für einen, und wer war man für sie? Oder man kann die Erinerung an Vergangenes ganz neu erfahren, also im Kontext des Jetztseins. Aber, da das Entschwundene bereits gelebt wurde, ist man nun beschäftigt mit den trickreichen Formen der Erinnerung. Stößt man aber im Jetzt auf Unwegsames, das einen an der Lebendigkeit des eigenen Stromes hindert, ist es ratsam, sich Hilfe zu suchen bei Menschen, die sich Kenntnis angeeignet haben über den Umgang mit psychischen Hindernissen. Ich habe selbst nach Jahren von meditativer Praxis verstanden, wie unerlässlich  für westliche Menschen es ist, sich den komplexen Vorgängen der eigenen Psyche zumindest zeitweise intensiv zu widmen. Ich danke auch gerne für alle Hilfe, die ich diesbezüglich erhalten habe. Nun wurde ich gestern durch einen Anruf aus Boston, wo es Abend ist bei meinem Morgen, auf einen Link hingewiesen, wo sich ein Photo von mir befand, das ich noch nie gesehen hatte und habe mir erlaubt, es im heutigen Blog erscheinen zu lassen. Der Anrufer aus Boston ist der Sohn des Mannes, der einmal mein Weggefährte war, und wir kamen zusammen aus New York nach Indien. Er war u.a. ein besessener Photograph, und mehr als tausend Photos von mir liegen irgendwo in Sammlungen herum, und selbst wenn ich wollte, hätte ich keinen Zugang mehr zu ihnen, denn der Bildschöpfer lebt nicht mehr, und seine Bilder waren hoch im Kurs. Aus einer Zeit, die wir für unsterblich hielten, und an die sich kaum einer mehr erinnert. Aber was weiß man schon von dem, an was sich ein Mensch erinnert. Manchmal weht durch einen sich gerade im Wachwerden befindlichen Geist eine Erinnerung, und man geht ein bisschen hinein und schaut herum. Meine Güte, denke ich dann, ich könnte von dieser kleinen Ecke im Korridor des Seins schon ein Büchlein füllen, wäre ich eine kompetente Erinnerungserzählerin. Ich schaue das Bild an und habe keine Ahnung, wo und wann und wie das war. Keiner weiß es, und was würde es ändern, wenn ich es erinnern könnte. Es war, was es war, das ist alles, was ich sehen kann. Das war ich, kein Zweifel. Und dabei wird es wohl bleiben, solange es dauert, und bis „es“ günstigerweise ganz und gar zum Ich geworden, oder vielleicht gar darüber hinausgewandert ist.

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