21. September 2018


Das Bild zeigt die junge indische Frau, die ich gerne bei Gelegenheit als meine Tochter vorstelle. Sie hat heute Geburtstag und das Bild ist ihr heutiges Photo auf WhatsApp, darunter das Photo eines schwer definierbaren Goldklumpens, mit freier Leseart ausgestattet, und dient hier als karmischer Glanz, der sich noch entfalten muss und kann. Als es bei mir heute früh 5 Uhr war, fiel mir ein, dass es dort schon 9 Uhr dreißig ist, entscheide mich für einen WharsApp Anruf, 5 Sekunden später sind wir verbunden, als säße sie im Nebenraum. Also herzlichen Dank auch an WhatsApp, denn irgedwie entwickelt sich der Tag, nun ja, mein Tag, aber auch d e r Tag, als ein Tag der Dankbarkeit, wo man dann vor lauter Dankbarkeit gar nicht mehr weiß, wo man anfangen, bzw. aufhören soll. Ich danke also meinem Schicksal, dass mein Fuß auf einer staubigen, indischen Straße vor genau 23 Jahren an ein Bündel gestoßen ist, das sich als ein gerade geborenes Kind entpuppte. Sie sah uralt aus und nicht sehr lebensfähig. Ich habe sie dann mitgenommen und mir bei einer empfohlenen Ärztin Rat geholt, die dann so etwas wie meine Großmutter, Beraterin, weise Frau zur rechten Zeit wurde. Wäre sie nicht schon weit über 80 gewesen, hätte sie das Kind adoptiert. Adoption war Teil ihres Lebens und damals in Indien mit wenig Komplikationen verbunden. Die Bewahrung der Kinder vor der Auslöschung. So ist Asha (Hoffnung auf Hindi), wie sie heute heißt, die ersten Monate ihres Lebens mit mir aufgewachsen. Als ich abreisen musste und keinen Weg gefunden hatte, sie mit mir nach Deutschland  zu nehmen, fanden wir (letztendlich) ein Paar aus der Jain Gemeinde, die lange Zeit verheiratet waren und keine Kinder hatten. Sie wohnten eine Stunde entfernt von unserem Dorf und ich konnte sie jedes Jahr sehen und ihre Entwicklung mit gestalten. Vor ein paar Jahren starb dann ihre „Mutter“ an Krebs, dann auch die Mutter ihres jetzigen Vaters. Er war es, in den ich damals sofort Vertrauen hatte, dass er sich gut um sie kümmern würde, und das hat er im Rahmen seiner Möglichkeiten auch getan. Ein guter Vater, sie hat wirklich Glück mit ihm, denn er liebt sie aus einer tiefen Bescheidenheit heraus und hat auch aus sich selbst einen würdevollen Menschen gemacht. Am Telefon heute früh klang sie nicht sprudelnd, aber auch nicht klagend. Sie führt den Haushalt, studiert zuhause für die Examen und absolviert sie in einer naheliegenden Stadt. Ich bin in Panik, sagte sie am Telefon, dass ich schon 23 Jahre alt bin und noch nicht verheiratet. Ich halte eine Kurzvariante meiner berühmten Reden über die grandiosen Möglichkeiten von uns Frauen in diesem Zeitalter, aber einerseits ist sie moderner als ich und postet unermüdlich in die Welt hinein, wo andere zurück posten, und andrerseits muss trotz alledem der Ehemann bald erschaffen werden, wenn auch nur, damit es endlich geklärt ist. Regelmäßig werden ihr junge Männer aus der Jain Community zugeführt, aber sie konnte noch keinen genug leiden. Zu dem, was ich in meinem bisherigen Leben als „gelungen“ bezeichnen würde, gehören die ersten sechs Monate mit ihr. Noch nie hatte ich so viel verstehen können von dem, wovon ich keine Ahnung hatte. Auf einmal hatte ich ein Kind und musste es am Leben halten. In der Tat war sie das schönste Kind, das ich je gesehen hatte, pure Transzendenz des Alltäglichen, jeder Hauch einer potentiellen Weltermüdung weggefegt im Angesicht des realen Wunders, auf das niemand außer mir Anspruch erhob. All dieses freie, poetische und von tiefem Sinn durchwobene Erleben, das wir miteinander hatten, das ist auch heute noch spürbar. Sie hatte schon, sagte sie, auf meinen Anruf gewartet. Ich muss es gespürt haben.

 


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