fähig

Der Mensch ist zu allem fähig. Die Zweideutigkeit des Satzes kann einen erschaudern lassen. Wir wissen alle, alle Menschen, zu was er fähig ist, der Mensch, also wir, einmal als Spezies, die genug dokumentiert ist, um einiges über sie auszusagen, und das andere Mal als einzelner Mensch, in letzter Konsequenz also als ich selbst, als Mensch.  Warum ausgerechnet das Ich in letzter Konsequenz? Oft ist das Ich vornehmlich beschäftigt mit der Draußenwelt, die Arbeit, die Anderen, die Befindlichkeiten. Kann man erkennen, ob und wann ein Mensch bei sich ist, und wenn er oder sie nicht bei sich ist, wo sind sie dann? Wenn man nun die Augen umdrehen könnte, sozusagen von der Außenansicht in die Innenansicht, was würde man dann innen sehen. Wie kommt man überhaupt hinein? Gibt es einen Schlüssel oder ein Password? Was es gibt, sind Bücher und Vorträge von Leuten, die behaupten sich „drinnen“ auszukennen.  Man darf sie, wenn man möchte, anstaunen, oder in Zweifel setzen, oder sie ablehnen, aber man weiß auf jeden Fall nicht, worüber sie reden. Denn wüsste man’s, dann würde man ja nicht da sitzen und etwas suchen, von dem man gar nicht weiß, dass es das wirklich gibt? Auf der anderen Seite würde einen das Thema gar nicht beschäftigen, wenn man mit dem, was man ist, voll zufrieden ist, und z.B. kein uneingelöster Anspruch an einem nagt. Man kennt auch von sich, dass man in sozial erwartetem Täuschungsmanöver ein Frohsein vorgaukelt, wenn es innen tobt und brodelt bis an die Mundwinkel. Man muss seinen Zustand ja auch nicht überall und für jeden sichtbar zur Verfügung stellen, Hauptsache, man weiß selbst, wie man sich fühlt. Wie weiß man, wie man sich fühlt. Hier beamen wir uns kurz in ein extra dafür erschaffenes Wochenend-Seminar, freitags Ankunft und Kennenlernen, Samstag Krisentag, Sonntag Feedback und Abreise. Jetzt habe ich (vorübergehend) den Eindruck erweckt, als könnte ich auch Wochenend-Seminarbesucherin sein, was ich zu dem Zweck, den ich hier verfolge, nicht brauche. Ich brauche nur geistig den Seminar-Raum und die TeilnehmerInnenrunde, um sie darum zu bitten, mal rundherum so genau wie möglich zu beschreiben, was jede/r so gerade fühlt. Fühlen, was ist das. Jeder hat’s, doch wie heißt es. Kann ich wissen, was es ist, wenn ich es nicht nenne. Neulich habe ich unterwegs ein Interview mit einer Sängerin gehört, das mich aufhorchen ließ. Ich habe mir ihren Namen gemerkt, Etta Scollo, und sie mir im Netz angehört. Man kann hier Gefühle hören. Hört man denn bei den anderen Sängern keine Gefühle. Ich persönlich kann klassisches Gesinge nicht gut ertragen, das ist natürlich ein Banausen-Kommentar. Vielleicht fehlt mir bei diesen Tönen das Fühlen. Können ist auch nicht immer alles. Auch nicht jeder Fado erreicht das Fühlen, es kommt auf die Darbietung an, auf die ausgelotete Tiefe des Empfindens, das hier gewünscht ist. Jeder hat sein oder ihr Gebiet. Wenn man Anthony (and the Johnsons ) hört, weiß man was von großer Verlassenheit, oder die Stimme schenkt einem d e n Tropfen großer, eigener Verlassenheit, den man so selten kosten kann, weil er so selten hervorgelockt wird. Auch mitzufühlen kann so bereichernd sein, vielleicht steht es an irgend einem hellen Ausgang als das Bereicherndste da, der Reichtum schlechthin also, dass man mitfühlen durfte bei Anderen, weil man es ja nur können kann, wenn man genug mit sich selbst gefühlt hat. Was ist genug? Vorerst muss man schauen, ob man die Gefühle überhaupt erkennen und nennen kann. Es gibt auch Berichte von Gefühlen, die andere dafür halten, die man selbst aber gar nicht kennt, Schmetterlinge im Bauch, zum Beispiel, überhaupt dieses Bauchgefühlte, da würde ich mir eher in der trauten Kammer eines Nachmittags die mutige Frage stellen: schon geboren? Oder noch im Kanal unterwegs? Das muss jede/r selbst wissen. Das ist es ja gerade, dass es nur jede/r selbst wissen kann. Auch die Freiheit, um das Wissen herumzukommen, muss nicht nur da sein, sondern ist da. Wen geht’s was an, was ich fühle. Nur, wenn ich selbst es nicht weiß, was dann?

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