(nicht) sollen

Osman, ein Mann, den ich bei unserem hochgeschätzten Automechaniker zufällig traf und der einen Freund hatte, der, so sagte er, an unserem alten Auto interessiert sein könnte, brachte diesen Interessenten tatsächlich zu uns, und es kam zu einem zufriedenstellenden Ausgleich. Da Herr Osman mich mit „Frau Sybil“ vorstellte und ansprach, erklärte ich, Sybille sei mein Zweitname, und eigentlich hieße ich Kalima. Das erweckte sofort ein gewisses, religiöses Interesse in ihm, denn er war Muselmane und freute sich besonders darüber, dass ich mich erinnerte, selbst einmal das Wort „Kalima“ in einer Moschee gelesen zu haben und zu erfahren, dass es ein Name ist für die 5 Glaubensbekenntnisse des Islam. Immer froh, mal wieder einige positive Erinnerungen religiöser Stätten in Erinnerung zu rufen, konnte ich die Sufi Dichter preisen und überhaupt, schade, dass der Islam gerade so einen schlechten Ruf hat, was soll man machen. Ja, was soll man machen. Zum Beispiel darüber nachdenken, was sich die Gründer und die Erhalter  der Religionen alles ausgedacht haben, um den autoritätshungrigen  Menschen d i e Gesetze zu geben, die ihnen das Herdendasein erleichtern, bzw. das angstdurchtränkte Alleinsein in eine gemeinsame Ordnung  lenken. Die Gesetze bestehen hauptsächlich aus Sollen und Nicht-Sollen. Du sollst die Ungläubigen aus dem Wege räumen. Du sollst nicht stehlen und nicht lügen. Du sollst deinen ganzen Leib mit einem schwarzen Sargtuch umhüllen, damit dich draußen keiner sieht. Du sollst nur Einem mit Haut und Haar gehören. Du sollst nur einen Gott haben. Du sollst nicht Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Du sollst einen Giftbecher trinken, Sokrates, weil du das lehrst, was nicht gelehrt werden soll. An den Tieren soll experimentiert werden, an was der Mensch nicht sterben soll. Du sollst (hier schleicht sich schon das Muss ein) möglichst jeden Tag was Neues kaufen, damit der ganze Apparat weiterlaufen kann. Du sollst den Gott fürchten wie dich selbst. Du sollst gehorsam sein, damit du werden kannst, was du sein sollst. Deswegen, wenn mir  manchmal in Indien eine Frau vermittelt, wie gut wir’s hier haben, wo alle frei sind, zu tun und zu lassen, was sie wollen, dann muss ich das notgedrungener Weise relativieren, denn gut, wir haben vielleicht eine gewisse Freiheit vom Sollen und Müssen, aber ganz sicherlich haben wir auch die Bürde der vorhandenen Freiheit. Jetzt soll ein Kreuz in allen Ämtern hängen? Ja hallo, wer ist denn hier glaubwürdiger Christ? Als ich mal meine Mutter fragte, ob sie an Gott glaubt, wühlte sich ein interessanter Vorgang in ihr hoch. Vielleicht auch ein leiser Ärger, aus dem Kollektiv des automatischen Christen-Daseins herausgenommen zu werden und gar nicht zu wissen, wie es für einen ganz persönlich ist. Ein Gott? Der liebe Gott?, über dem du keine anderen Götter haben sollst. Heute habe ich beim Frühstück gehört, dass einst Mohammed eine eigene Glaubensgemeinschaft gründen wollte, in der alle Religionen integriert waren. Dann wollten die Juden nicht mehr mitmachen und Mohammed sagte, nun sollen alle Blicke der Gläubigen nur noch nach Mekka gerichtet sein. Nur noch auf Einen. Laaa Ilaaha Illa-IlaahuMuhammadur-Rasoolu-Ilaah. (Niemand ist anbetungswürdig außer Allah und Mohammed ist sein Botschafter). (Das ist die erste Kalima) Letztes  Jahr bei einem Treffen syrischer Poeten erzählte jemand die wahre Geschichte einer neu gebauten Toilette, die umgemodelt werden musste, nachdem potentielle und gläubige Lustmörder „Sünde! Sünde!!“ schrien, weil der Sitzende nach Mekka schaute. Du sollst auf dem Klo nicht in Richtung Mekka schauen. Das Sollen muss immer genügend einleuchten, damit die Ausübung davon ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erschafft und eine Abgrenzung gegen die Anderen hervorbringt, die was Anderes sollen. Und irgendwann sitzen alle im Trog des Sollens. Sollen wir (Deutsche), nach allem, was hier geschehen ist, wirklich Milliarden ausgeben für Waffen, die Andere vernichten können? Nein, sollen wir nicht, aber wir müssen. Sonst plätten die uns doch mit Genuss, wenn es soweit ist. Trotzdem muss ich den Weg des freien Handelns nicht aufgeben. Solange ich hier bin, kann mich niemand außerhalb des Menschseins schieben. Ich bestimme selbst. Nur ich selbst kann bestimmen, was für ein Mensch ich in der Lage bin zu sein, und ob es meinen Ansprüchen an das Menschsein entspricht.
Das Bild zeigt eine bekümmert dreinblickende Gottheit.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert