Raphael

Raphael, der junge Mann oben im Photo, ist der Sohn eines Mannes, mit dem ich mal 9 Jahre in Kathmandu zusammen lebte. Ich hatte Ira bei der ersten Aufführung des „Living Theater“ in New Haven kennengelernt. Er war liiert mit einer Frau, die ihre fünf Kinder mit einem Japaner in San Fransisco, für Ira verlassen hatte. Ich war dann wieder unterwegs mit dem Theater in Europa, kam aber nach ungefähr zwei  Jahren nach New York zurück, um Ira in einer dringenden Angelegenheit um Unterstützung zu bitten. Ira und Jill waren an diesem Punkt bereits in Trennung, und sie wollte das inzwischen gezeugte Kind, Raphael, nicht mehr haben. Ich erinnere mich genau an den Moment, als sie mir bei meiner Ankunft, bzw. ihrer Abreise, das Kind praktisch überreichte und beteuerte nein, nein, sie wollte es nicht, sie wollte zurück zu der Familie. Auf einmal hatte ich Mann und Kind und war in keinster Weise in der Lage, mich um ein gerade geborenes Wesen zu kümmern, da ich mich nicht nur in tiefer Trauer um einen Menschen befand, sondern auch auf einen Brief aus Indien hin unbedingt nach Shantiniketan in eine Universität des Dichters Rabindranath Tagore wollte (wo ich letztendlich nie hinkam). Entschlossen, nach Indien zu gehen, zwang ich Ira in eine Entscheidung. Er wollte mit und wir dachten darüber nach, was wir mit dem Kind in der Zeit machen. Es meldete sich eine Babysitterin namens „Sky-Mama“. Sie war 17 Jahre alt und gefiel uns wesentlich besser als der Gedanke, sie der Obhut von Ira’s taubstummer Mutter zu überlassen. Ira und ich kamen von dieser Reise viele Jahre nicht zurück. Es kamen Briefe von Sky-Mama, ich überließ es Ira, sich darum zu kümmern, wie er die Angelegenheit entscheiden wollte. Ob es ihn tief beschäftigt hat, weiß ich nicht. Sky -Mama wurde letztendlich die Mutter von Raphael. Sie lebten in Griechenland. Als Ira und ich uns trennten, ging er, um ihn zu sehen, und Raphael lebte später eine Weile in Ira’s Appartment mit seinem Vater. Aber zuvor wohnte er in Ungarn und lebte dort mit seiner Freundin. Eines Tages meldete er sich bei mir, ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam. Er kam hierher zu uns ins Haus und blieb zwei Tage. Wir kamen uns innerlich sehr nahe, sodass das Leid, um das es auch ging, sich in Liebe verwandelte. Und heute noch spüre ich den tiefen Schmerz des Bedauerns, dass er mein Sohn hätte sein können, wäre ich reif dazu gewesen und nicht so vehement gegen Kinder wie damals. Ich hätte ihm, erzählte er mir, seinen Vater weggenommen. Wir trennten uns tief bewegt. Ira ist inzwischen tot, ich versuchte in den letzten Jahren alles, was mir einfiel, um mit Raphael wieder in Kontakt zu kommen. Dieses Jahr, kurz bevor ich Indien verließ, kam die Mail eines Mannes, der gerade ein Buch über Ira und dessen Arbeit machen will, und der mich bat, einen Beitrag zu schreiben. Da fiel mir ein, dass e r vielleicht wissen konnte, wo Raphael zu finden sei, und tatsächlich,  er hatte seine Mail Adresse. Sie lag eine Weile hier. Gestern früh beim Aufräumen meines Schreibtisches wollte ich den Zettel schon aus dem Blickfeld nehmen, da entschied ich mich, ihm zu schreiben. Dass ich immer noch mit Liebe an ihn denke und bedauere, dass ich nicht fähig war damals, eine gute Entscheidung zu treffen. Kurz danach kam seine Antwort: liebevoll und überrascht, dass ich mich ausgerechnet „on the day of my birth“, wie er sich ausdrückte, meldete. Es war sein Geburtstag! Auf dem Bild liegt neben ihm ein Buch mit Gedichten von Rimbaud.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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