die Worte

Von einem indischen Psyhoanalytiker (Sudhir Kakar) habe ich vor Jahren einmal anlässlich einer Artikel-Serie über die Praxis und Handhabung der Psychoanalyse in verschiedenen Ländern eine wichtige Information über die Inder und ihre „Psyche“ bekommen. Er sagte nämlich, dass die therapeutische Behandlung in Indien sehr mühsam anläuft, ja, noch kaum anwendbar ist, und zwar aus dem einfachen Grund, weil  die indische Kultur keinen Wert darauf gelegt hat, das persönliche Schicksal eines Menschen zu ergründen, da die Grundfesten indischen Lebens  festgelegt sind, und zwar in zwei Richtungen, sodass jeder Mensch, der in diesem Kulturraum aufwächst, nur diese beiden Wege zur Verfügung hat, also den „Familienpfad“ und den Weg der Einzelnen wie Mönche oder Gurus oder Priester etc…. das natürlich auch „nur“, wenn ein gesellschaftliches Leben daraus entstehen soll, was ja auch hier im Westen vielen Menschen vorrangig wichtig ist, dh vor allem im Außenbereich jemand zu sein und dort auch zu scheinen. Nun kommt nicht automatisch mit dem „Draußen sein“ oder dem „Sehr-Beschäftigtsein“ auch ein „Sich-selbst-sein“ zustande. So gibt es in der indischen Kultur eben diese zwei klugen Optionen des Seins, den Familienpfad und den Pfad derer, die das Familienleben für sich nicht geeignet halten, also keine Kinder, keine Heirat, dafür aber Verantwortung für das reichhaltig dokumentierte Abenteuer der Selbsterkenntnis, das unter günstigsten Bedingungen eben auch zur „Befreiung von der Anhaftung an das Leiden“ führt. Mich würde interessieren, wie Sudhir Kakar die heutige Situation in Indien sieht, wo, ganz wie bei uns, sich die kulturellen Vorgaben nach und nach aufheben, und die Übergänge, auch zur Welt der Maschinen, fließend sind und vor allem sich sehr schnell formieren mit derart neuem Outfit, dass eigenständiges Denken, nie individuell angekurbelt, hier eine weitere illusionäre Facette erhält, nämlich der Eindruck, durch kompetente Handhabung von Maschinen ein bewusstes Individuum zu werden. Die ausländischen Indien-Durchwanderer hingegen, auch gut ausgerüstet mit technischem Spielzeug, zeigen eher Anzeichen kollektiven Stammesverhaltens zB mit allerseits durchtätowierten Körpern und dem uneingeschränkten Bedürfnis,  mit häufg gedrehten Joints  die Herausforderungen des persönlichen Daseins leichtfüßiger zu gestalten beziehungsweise vollständig zu ignorieren. Die uralte Frage scheint hartnäckig zu bleiben: „Wie kommt man eigentlich zu sich“, und woher weiß ich, dass ich das bin, von dem/der ich denke, ich sei es ganz einfach und es bestünde keine Notwendigkeit, „es“ tiefer zu reflektieren, denn wen kümmert es schon wirklich, dass „es“ zuerst „ich“ werden soll, bevor es von mir aus für immer verschwindet. Doch wie geht’s? Und hat das „Schau dich selbst an“ hier noch seine Konsequenzen, die spürbar und wahrnehmbar sind? In Indien sitzt fast niemand mehr aus den Familienclans an den Feuern der Sadhus. Zu auffällig selbst für den Ungeübten ist das geschwafelte Reden geworden, und selbst das wird nur durch Drogen-und manchmal auch Alkoholkonsum überhaupt noch aufrechterhalten, wodurch sich dann entsprechendes Miteinander an den Feuern gestaltet.
All das wehte heute früh so durch meinen Geist, weil mir klar wurde, dass in der Tat nur durch inneren oder äußeren Dialog das diffuse Innenleben erfasst werden kann, da es die Worte sind, und nur die Worte, die hier Klarheit und Präzision und Überprüfung gewährleisten können darüber, wieweit ich weiterhin davon ausgehen kann, von meinem eigenen Selbst ein Bild zu haben, das meiner gefühlten oder für selbstverständlich gehaltenen Realität  entspricht.  Von der Erfahrung weiß man auch, dass Worte nicht letzte Objekte des „Wahren“ darstellen. Aber ohne sie: weder bewusstes „Ich“ noch „Welt“, in der ich anwesend bin als mich selbst. Dann reift auch gleichzeitig das leichtherzige Schweigen.

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Bilder: das Photo eines Inders vor meinem Fenster, der einem Äffchen, das ohne Arme das Becken durchschwommen hatte, seine Ehrerbietung zollt, und rechts der heilige Franziskus, gemalt von Zurbaran.


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