Pablo Neruda

 

Ode an einen Stern

Neulich in der Nacht
beugte ich mich auf der Terrasse
eines riesig großen, stolzen Wolkenkratzers
weit hinaus und berührte
das nachtschwarze Himmelsgewölbe.
In einem Anfall hemmungsloser Liebe
griff ich nach einem himmlischen Stern.

Schwarz war die Nacht
und ich schlich durch die Straße,
in meiner Hosentasche der Stern,
den ich geklaut.

Er war zerbrechlich und zitterte wie Kristall.
Dann kam es mir vor,
als trüge ich einen Packen Eis
oder das Schwert eines Erzengels am Gürtel.

Behutsam versteckte ich ihn unter meinem Bett,
damit niemand ihn entdeckte.
Aber sein Licht
drang zuerst
durch die Wolle der Matratze,
dann
durch die Dachziegel meines Hauses.

Ach, wie schwer
wurden mir
meine ganz privaten Angelegenheiten.

Ständig umgab mich
sein astrales Leuchten,
das so unruhig flackerte,
als möchte es zurückkehren
in die Nacht.
Nicht länger konnte ich mich
um meine Pflichten kümmern.
Ich vergaß, meine Rechnungen zu bezahlen,
und hatte kein Brot und gar nichts mehr.

Währenddessen liefen auf der Straße
die Leute zusammen –
Spaziergänger, fliegende Händler,
sie alle schlug der nie gesehene Glanz,
den sie aus meinem Fenster kommen sah’n,
in seinen Bann.

Da nahm ich noch einmal meinen Stern,
wickelte ihn vorsichtig in mein Taschentuch,
verhüllte mein Gesicht,
schritt durch die Menge
und wurde nicht erkannt.

Ich wandte mich gen Westen,
lief zum Grünen Fluss,
der unter Weiden ruhig fließt.

Ich nahm den Stern der kalten Nacht,
warf ihn ganz vorsichtig
ins Wasser.

Wie staunte ich, als er sich davonmachte.
Ganz wie ein richtiger Fisch
bewegte er seinen Leib.
Ein Diamant war er
in der Nacht des Flusses,
der ihn davontrug.

 


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