anblicken


anblicken
Man vergisst so leicht, dass nicht nur wir ständig auf alles blicken, was sich vor uns abspielt, sondern die Welt, in der wir uns bewegen, schaut auch zurück. Aber meistens lassen wir es nicht sein, was es ist, sondern es wird kommentiert und bewertet und eingeordnet ins eigene Wahrnehmungsfeld. Auch dienen solche schlicht klingenden Erkenntnisse nicht dazu, sie irgendwann einmal für verstanden zu erklären, sondern es ist förderlicher, sich im Staunen zu bewegen und notfalls d  a s, was man sich als „das Normale“ angeeignet hat, ab und zu aufzuscheuchen und auf seine angebliche Norm zu überprüfen. Ich erinnere mich an eine Geschichte, in der ein Mann sich selbst erzählt, was er so alles in der Wohnung hat, und woher er es hat, und wie schön es doch alles sei, so vertraut, so angenehm, so ganz er selbst, bis man als Leser:in langsam und unaufhaltsam begreift, dass der Gashahn schon die ganze Zeit den tödlichen Stoff ausströmt, obwohl der das alles Kontemplierende nun die Dinge in einem anderen Licht sieht, das jedoch nur durch diese gewählte (Er)Lösung auftauchen konnte. Die Objekompositionen in meinen Räumen sprechen auch deutlich eine eigene Sprache, denn die meisten Teile habe ich nicht selbst erschaffen. Ich sorge für die Zusammensetzung, und oft genug gibt es dann Landschaften, deren Ordnungen bereits im Reich der Spinnenwebe angekommen sind. Wie lange sitzt denn da schon der kleine Buddha, um den Hals meinen Schildkrötenring, vor dem kunstvoll geformten Frauenkörper aus Lehm (wie hieß sie doch gleich, und wie froh war ich, das von ihr (der Künstlerin), erstehen zu können, sprich: zu kaufen. Und an diesem Torsorand oben hängen schon sehr lange zwei Opiumknospen, ausgetrocknet wie die schwarzdunkelrote Rose, die da ebenfalls hingehört. Aber warum scheint es so unauflösbar wie eine indische Couch aus Bollywood, von der man weiß, dass sie nach ihrer Ankunft durch erschöpfte Sklaven nie wieder bewegt werden wird. Dabei gibt es in unserem Haus gar keine unverrückbare Couch, geschweige denn Kaminsimse, auf denen all die Lieben in Bilderrahmen versammelt sind, an die man sich erinnern möchte, warum auch nicht. Wenn man diese zähe Kraft der Materie öfters mal umsortieren würde, also neue Zusammenhänge erschaffen (was man ja auch zuweilen tut), wäre man immerhin noch mit einem gewissen Grad an geistiger Freiheit bei der Sache, während z.B. die meisten Flüchtenden gerade diese Freiheit unfreiwillig zurücklassen mussten: die eigenen Ecken, die Landschaften, die vertrauten Einrichtungen. Übernimmt aber die Katastrophe die Trennung von dem Blick und Anblck  vertrauter Ordnungen, dann wird dem Geist viel zugemutet, und vieles, was war, scheint nun auf einmal so kostbar (gewesen zu sein).

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