spürbar

*
wahrlich
Als ich mich bei Shivani am Heiligen Abend an meinen Weihnachtslieblingssong erinnerte, gesungen von Mahalia Jackson, und es ihnen ein paar Minuten lang vorspielte, kam eine tiefe Stimmung auf. Wir waren wie verbunden in etwas verloren Geglaubtem, vielleicht in Sehnsucht nicht nach dem Heiland, sondern nach Heilung in einer als krank empfundenen Welt. In Jacksons Stimme klingt die stille Nacht  nicht nur friedvoll, sondern bedeutungsschwanger. Ein Kind wird geboren in einer erbärmlichen Hütte, in der nun ein Lichtblick erscheint, eben das Kind – und wen kümmert’s, ob sie es taten oder nicht taten, auch wenn man es in anderen Kontexten mal nicht egal finden kann, wer noch daran beteiligt war. Das Ehepaar, bei dem ich zu Besuch war, hat 13 Jahre alles Erdenkliche getan mit allen verfügbaren Mitteln, um ein Kind zu haben, aber es kam einfach nicht. Letztendlich akzeptierten sie es und entspannten, was durchaus der Grund sein kann, dass es dann trotzdem kam. Ein Winzling mit wachen Augen, das auf den Armen des Vaters am besten aufgehoben scheint, denn die Mutter wütet gerade sehr viel  und kann nun diese Variante nicht akzeptieren, vor allem die Verformung des Körpers. Mit diesem leicht beunruhigten Blick schaue ich auch manchmal auf die Zigeunerfrauen, die in der Nähe meiner Tür lagern, und wenn die Kleinstkinder zu lange schreien, schaue ich hin und sehe, wie die Mütter da sitzen und rauchen und quasseln und in ihre Smartphones starren, während ihre Kinder an ihren Körpern zerren und versuchen, wahrgenommen zu werden. In allen Kasten, zu denen ich Zugang habe, spürt man noch, dass die Mädchen eher eine Last sind, um die es sich nicht viel lohnt, denn nach der Ehe gehen sie woanders hin, und meistens wird jegliche Ausgabe für ihre Bildung als überflüssig gesehen. Allerdings ändert sich zur Zeit einiges, wenn auch im Schneckentempo. Als Mahalia Jackson von „Mother and child“ singt, denke ich, dass so ein bisschen Heiligkeit dem großen Vorgang gar nicht schaden kann, denn kann nicht die Mutter direktemang in die Erleuchtung eintreten, wenn sie zulässt, dass hier etwas weit über sie hinausgeht. Sie wird in jeder Hinsicht Teil eines Wunders (isn’t it, gentlemen?), eben dass ein Mensch aus einem Menschen herausgeboren wird. Und dass wir selbst es geschafft haben, dass die dafür Verantwortlichen uns nicht weggetrieben haben, sondern uns angenommen und versorgt, damit wir das unvergleichbare und kostbare Abenteuer miterleben können. In der Zeitung wurde gestern ein junger Mann erwähnt, der seine Eltern ernsthaft vor Gericht verklagt, dass sie ihn ungefragt in die Welt gesetzt haben. Groß ist die Spannbreite der Erfahrungen, zu denen ein Mensch in sich Zugang findet.
*Installation aus der EK-Kooperative

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