grenzerweiternd

Auf meinem Schreibtisch steht dieses kleine Kupfergefäß aus Indien, an dessen einer Seite ich neulich diesen Totenkopf erscheinen sah. Obwohl ich vorziehe zu sehen, was wirklich da ist (soweit das überhaupt möglich ist), so faszinierend fand ich auch immer die Möglichkeit, das sich auf geheimnisvolle Weise verdichtende Etwas zu entdecken, das aus einer vorbeitobenden Wolke ein episches Drama herausbilden kann. Denn sobald man den Streitwagen erkennt, erkennt man auch die Profile, da diese kühnen, künstlersischen Entwürfe sich an keine Größenordnungen halten müssen, weiß man doch um die direkte Wirkung der Sicht auf das subatomare Feld. Und wie viel freier sind Wolken und vom Monsoon vorgefertigte Mauern als Bildschirme, von denen man derart Lebendiges nicht erwarten kann. Allerdings sieht man auch hier nur, was man kennt, sonst kann man es nicht wahrnehmen. Es gab doch dieses schöne Beispiel einiger im dörflichen Leben verankerter Afrikaner, denen man ein Video aus New York vorspielte. Man fragte sie nach dem Grund ihres schallenden Gelächters, und sie sagten aus, vor allem Hühner gesehen zu haben. Und obwohl die Weltsicht von vielen Seiten her durch Gesetze, Kulturen und Übereinkünfte usw. stabilisiert wird, sieht jeder Mensch es noch einmal anders, denn er steht nur an einem Ort, an dem kein Anderer oder keine Andere stehen kann. Außerdem steht hinter den Augen das ganze Material zur Verfügung, mit dem ich mein Sehen geschult habe. Interessant fand ich in Indien, dass z.B. Brahma, der Schöpfer bei aller Unterschiedlichkeit sonstiger  Götter, dem christlichen Schöpfer total ähnlich sah, und es erleicherte so manchem Foreigner auch den Transit von einem zum anderen. Man war überzeugt, dass es ihn schon deshalb, wegen dieser  Ähnlichkeit eben, wirklich geben müsste, wobei eher anzunehmen ist, dass sich jede/r einen gütigen Papa wünscht, der für die Menschheit nur das Beste im Sinn hat.Einmal wurde ich von einer Familie aus der Provinz Sindh in ihren Tempel geladen und sah dort, wie sie den Kopf des hinduistischen Gottes einfach mit dem Kopf ihres Gottes ausgetauscht hatten, nicht, dass es jemanden gestört hätte. Man weiß einerseits, dass „not five fingers the same are“, andrerseits weiß man, dass es in letzter Konsequenz auf dasselbe hinauskommt, wenn eines schönen Tages die Fixierung auf duales Denken transzendiert ist und das Einssein des Ganzen wahrgenommen werden kann. Es hatte auf jeden Fall etwas Grenzerweiterndes, wenn man das alles eine Weile in seinem makellosen Irrsinn zulassen konnte. Aber nun sitzt man, vielmehr ich sitze im Westen und habe mir am Wochenende den Film „Die Wannseekonferenz“ angesehen. Das Konferenzgebäude ist immer noch dasselbe wie damals, wobei es in einem anderen Damals einem jüdischen Unternehmer gehörte. Da passt nun wieder das Bild auf meinem Kupferkesselchen ganz gut dazu. Das Knirschen der Räder auf Kies kann auch in mir noch ein Schaudern erzeugen. Männer, die sich einer hohen Aufgabe verpflichtet fühlen, der Vernichtung und vollkommenen Auslöschung allen jüdischen Lebens. Zum Glück merkt man manchmal, wenn man keine Worte mehr finden möchte. Dann kann selbst ein Bild, das es nicht wirklich gibt, Aussage machen über ein Geschehen, dass es unleugbar gab, und das vor ein paar Jahren.

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