Geisterstunde

Das ist Racky Liz in ihrem Fledermauskostüm, wobei es ihr wichtig war, als Vampirin gesehen zu werden. Sie kam gestern mit Mameh, ihrer Mutter, und ihrer Freundin Wendy zu Besuch, beide hochkarätig bereit zu möglichem Grusel. Vor allem die Katzen fürchteten sich sehr und flüchteten in andere Räume, von wegen also gerne auf der Schulter von Hexen sitzen. Ich kenne Halloween nicht aus meiner Kindheit, so, wie es jetzt „Holi“, das indische Farbfest, in Deutschland gibt. Auch Fasching oder Karneval gehören zu diesen gesteuerten Entgleisungen, wo man sich mal ganz anders erleben kann als man es sonst im Rahmen des Alltags kann oder darf. Als ich in den Sechzigern mit dem „Living Theatre“ in Amerika unterwegs war, fragte ich einmal in dem Stück „Mysteries and smaller pieces“ einen Anzug tragenden Mann im Publikum, was er denn gerne anziehen würde, wenn er ganz frei wäre. Sofort schoß das Wort „Kimono“ aus seinem Mund. Er wusste bereits, was er eigentlich gerne gehabt hätte, aber er hatte es noch nicht, weil es das Kimonotragen für ihn nur auf der vergeblichen Wunschebene gab. Natürlich konnte ich nur an Fasching Page werden oder Cowgirl, Jott behüte, wie kam ich nur darauf. Irgendwo kommt man damit in Kontakt und will das mal sein, und muss dann nur noch die richtige Mutter haben, die zu diesen Umsetzungen bereit ist. Vom Kostüm hängt vieles ab, und vor allem, was man damit verbindet. Ich hatte früher auch ein Set Vampirzähne, die ich sehr tauglich fand für manche Auftritte. Rackys Freundin Wendy, die auch Vampirin sein wollte, aber ein sternenübersätes Himmelskleid trug, erzählte, wie sie immer ihrem kleinen Bruder Angst einjagt. Ich liiiebe es, sagte sie, meinem Bruder Angst einzujagen. Ist ja nicht schwer, meinten wir leicht verunsichert, wenn er kleiner ist als du. Aber auch an Halloween ist es ja sicherlich kein guter Rat, sich jemand Größeren zu suchen, dem man Angst einjagen kann, denn um was geht’s. Auf jeden Fall können solche seltsamen Feste als kleine Befreiungsorgien dienen, denn die Gruselbereitschaft hilft  vielleicht beim Angstabbau besser als der Satz „hab keine Angst“. Erst, wenn man sie mal hat, kann man schauen, wie man damit umgeht. Ich kenne Racky seit ihrer Geburt, und gestern kam sie mir besonders schön vor in der Art, wie sie tief berührt war von der Möglichkeit einer neuen Identität. Die Fledermausspange schmückte sie wie eine Krone, und man spürte durch sie die Wirksamkeit eines Dunkels, das seine eigenen Geheimgänge hat. Wir tanzten dann noch ein paar Runden zu R.E.M.’s „I am loosing my religion“. Das alles trug einen feinen Hauch von Wahrheit in sich, eben die leise einen anatmende Wahrheit, an der man nicht festhalten will. Eben wie in einer Geisterstunde. Noch weniger weiß man allerdings von den Auftritten der „Heiligen“, die nach der Geistervertreibung dann geehrt werden sollen undsoweiter.

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